Titel geholt, WM aus, alle zufrieden, Rückkehr zum Normalzustand. Könnte man zumindest so annehmen; der eine oder andere ist sicher auch ganz froh darüber (so auch der Verfasser). Aber: Noch ist die Gelegenheit zu schön, ein Stück des Sommerlochs auszufüllen, und zumindest für ein paar volkspädagogische Lektionen ist schließlich jede internationale Veranstaltung mit deutscher Beteiligung gut.
Nun war da natürlich die allfällig herbeigeschriebene „Entkrampfung“ und das „Selbstbewußtsein“ im Umgang mit den Nationalfarben, die alle vier Jahre auf’s Neue beschworen wird und danach hurtig wieder in den Redaktionsschubladen verschwindet. Der eine Autor mag darüber ins Schwärmen, der andere ins Heulen und Zähneknirschen geraten sein; letztlich bleibt aber doch die Erkenntnis: Dort, wo am eifrigsten eine Politisierung der WM (oder auch jedes anderen sportlichen Spektakels) transportiert wurde, verrät das weitaus mehr über den Absender dieser Botschaft als über den behandelten Gegenstand.
Da ist es ganz gleich, ob es sich um die sagenhaft bescheuerte Titelgeschichte des aktuellen Spiegel handelt, wo in Form einer zusammenhanglosen Assoziationskette Fußball, Zuwanderung und Lächeln quasi zu den neuen deutschen Tugenden erklärt werden. Da brauchte es schon ganze neun Autoren – knapp die Hälfte davon mit Impressumseintrag –, um auf viereindrittel Seiten (nur Text) ein skurriles Identitätssurrogat zusammenzustümpern, das in seiner Fragmentiertheit eigentlich nur das Spiegelbild eines atomisierten Restvolkes zu vermitteln vermag. Da macht es dann auch wirklich keinen Unterschied mehr, ob man das Ganze mit so jenseitigen Formeln wie „Wie eine Nation ist, das ergibt sich aus zwei Komponenten, dem Zustand im Inneren und dem Verhältnis zu den anderen Staaten“ einleitet – ein Begriff des Politischen im Jargon von „Lafer, Lichter, lecker“.
Sturmkolonnen marschieren am Sachverhalt vorbei
Deutscher Fußball wäre aber nicht deutscher Fußball, würde nicht irgendwer hinter dem Horizont wieder die Sturmkolonnen marschieren hören. Da es diesmal scheint’s keine nennenswerten Vorfälle im Gesamtrahmen der Spiele selbst gab und die FIFA sich sehr bemüht hat, im Stadion (und demnach, was man so über Einsätze der brasilianischen Polizei und Armee hört, auch großflächig darum herum) alles klinisch rein zu halten, muß man die zittrig erwartete Dosis Hitler eben woanders herholen: diesmal aus Österreich. Hier beliebigen sarkastischen Spruch einfügen.
Offenbar hat ein vorwitziger Kommentator im dortigen Auflagenführ… ähm… Massenblatt Kronenzeitung ein wenig zu tief in die Anspielungskiste gegriffen, die eigentlich den Mahnern und Warnern vorbehalten ist. So titelte es denn auch sogleich im eigens eingerichteten WM-Blog beim Internetmulti Yahoo!: „Geschmacklos! Nazi-Skandal um Jogi Löw“ und bei der affigen Huffington Post „Nazi-Skandal um DFB-Team“, was nicht nur völlig am Sachverhalt vorbeigeht (aber natürlich ruck-zuck einen Haufen Klicks generiert und sich auch in den Google-Ergebnissen hervorragend macht), sondern auch durch den dümmlich in die Überschrift gesetzten Fühlbefehl in amüsanter Weise an das „Der Zentralrat der Nazis ist empört“-Bildchen erinnert.
Und da die Betroffenheit allseits tief sitzt und sowieso alle nur voneinander abschreiben, verbreitet sich auch der Blödsinn (qua Unkenntnis, nehme ich an) ungehindert und medienübergreifen. Nein, Frau Hollstein von der Welt, alle in Ihrem Artikel angeführten „Vergleiche“ sind keine Vergleiche, sondern allenfalls Anspielungen. Ein Vergleich wäre, um mich einmal an einem kleinen Lied zu bedienen: „Was mich bei dir an Joseph Goebbels erinnert / Ist: Du machst einen auf kraß, aber bist eigentlich behindert.“ Ach ja, und die erste Strophe des Lieds der Deutschen ist nach wie vor kein NS-Lied und wurde auch nicht im Dritten Reich „häufig bemüht“, wie man beim Focus zu wissen glaubt.
Noch schnell irgendwas Angebräuntes nachschieben
Persönlich wüßte ich auch gern, wie die Thematik die Aufnahme in das Politikressort der Welt gefunden hat … obwohl, vielleicht lieber doch nicht. Den Vogel abgeschossen hat sowieso der Blogreigen bei Yahoo!; daß „Es zittern die morschen Knochen“ „unter den Nazis von der SA vereinnahmt“ worden sei, ist wirklich der Brüller des vergangenen Wochenendes. Ich empfehle dann doch, fünf Minuten länger zu googlen und wenigstens fehlerfrei abzuschreiben, wenn man schon keine wirkliche Recherche auf’s ach so wichtige Sujet verwenden möchte.
Also, wenngleich auch bemüht: Zumindest ein bißchen angebräunt konnte man auf den allerletzten Drücker auch diese WM präsentieren. Noch sind wir – wie oben bereits angesprochen – aber nicht über das Ganze hinweg, denn noch läßt sich aus dem Geschehen des Wochenendes ja etwas herauspressen. Und wenn es im Rahmen der unvermeidbaren Nachbetrachtungen nur die übliche Selbstbespiegelung ist. Auftritt Klaus Raab: „Die deutschen Panzer rollen wieder“ heißt es da, ganz so, wie man es von einem ehemaligen Der Freitag-Mann erwarten darf.
Um es kurz zu machen: Doch, die Riefenstahl-Assoziation liegt sehr wohl am Betrachter, zumindest an einem solchen, der mit ihren Filmen vertraut ist. Insbesondere im Hinblick auf den Olympia-Film „Fest der Völker“, und der sollte bei einem Sportereignis doch der Maßstab sein, wenn man schon die alten Klamotten wieder auspacken muß, um ein paar hörige Leser herumzuscheuchen. Und nein, nationale Symbolik verfestigt sich NICHT, wenn sie in einem rein (in mehrfacher Hinsicht) spielerischen Kontext gehandelt wird; damit entblödet man sich gerade dann, wenn man im Absatz zuvor herausstellt, welch Gelddruckmaschine die WM an sich tatsächlich darstellt.
Monopolisten erpresserischer Worthülsen
Zuletzt: Gewiß ist es inzwischen eher unüblich, nach einer erlittenen Verletzung nicht sogleich den Arzt oder, soweit vorhanden, die Frau aufzusuchen und sich betüddeln zu lassen – martialischer Wortgebrauch ist jedoch der Sport- und insbesondere Fußballberichterstattung allerspätestens seit 1900 inhärent, ob es dem hochgeschwemmten high brow-Tintenritter nun gefällt oder nicht. Ich empfehle da einmal den Einblick in ein paar Nummern der ab 1903 erschienenen Der Rasensport. Wochenzeitschrift für die Interessen des Fußballsports, wenngleich angesichts der dortigen Wortwahl wohl das gelegentliche Atmen in eine Papiertüte nötig sein könnte.
Bleibt letztlich die Frage, was das ganze Kasperletheater eigentlich soll. Es scheint doch ganz so, als ob die interessierten Meinungsverwalter anstelle der nächsten, aus dem Fanblock heraus erfolgenden Machtergreifung vielmehr das Monopol über gewisse erpresserische Worthülsen umtreibt, frei nach dem Motto: „Wer und was Nazi ist, bestimmen wir!“ Inhaltlich bliebe von ihnen ansonsten auch nicht mehr allzuviel übrig. Deswegen muß jetzt auch schnell nochmal all der schreiberische Schleim abgehustet werden, der ansonsten vier Jahre klebenbleiben würde.