Bis heute wird der Phase der friedlichen Revolution in der DDR und der Wiedervereinigung 1989-1990 nur unzureichend im öffentlichen Raum gedacht. 25 Jahre nach der Wiedervereinigung sollten nun zumindest je ein Freiheits- und Einheitsdenkmal in Berlin und Leipzig errichtet werden. In Berlin hat man sich nach einer langen Diskussion und vielen untauglichen Vorschlägen für die sogenannte „Wippe“ mit der Aufschrift „Wir sind das Volk“ vor dem neu errichteten Stadtschloss entschieden.
Doch die Umsetzung steht vor Problemen. Geschützte Fledermäuse nisten im Fundament, Mosaiken des einstigen Kaiser-Wilhelm-Denkmals wurden entdeckt und sollen erhalten bleiben, zudem scheint der barrierefreie Zugang zu dem interaktiven Denkmal unausgereift. Auch dürfte die Unterhaltung der sich beim Betreten bewegenden Schüssel Kosten verursachen. Andreas Kilb forderte deshalb bereits in der FAZ, „sich von der Einheitswippe zu verabschieden“. Das wäre aber ein zweiter Fauxpas, denn bereits das parallel laufende Projekt eines solchen Denkmals in Leipzig ist nun gescheitert. Zum Glück, möchte man ausrufen. Dort sollten 70.000 bunte Würfel zum Wegtragen aufgestellt werden. Zeitzeugen fühlten sich auf den Arm genommen, so daß das Leipziger Projekt nun vorerst gekippt wurde.
Die geistige Verfassung eines Staates erkennt man auch an seiner offiziellen Gedenkkultur. Es ist nicht allein so, daß zahlreiche sowjetische Ehrenmale und Gedenkstätten des DDR-„Antifaschismus“ immer noch unhinterfragt im öffentlichen Raum zu finden sind, während das Erinnern an die Opfer des Kommunismus in Form von Denkmalen nur schleppend vorankommt. Man betrachte bloß die große Anzahl an Gedenkstätten für die NS-Opfer, die bereits 1995 ein Buch der Bundeszentrale für politische Bildung mit einem Umfang von über 800 Seiten allein für Westdeutschland füllen konnten.
Schieflage der eigenen nationalen Identität
Das war also zu einer Zeit, als sich noch nicht die Stolperstein-Welle über das Land ergoß, die die Klein-Gedenkstätte zum finanzierbaren Hobby für allerlei zivilgesellschaftliche Initiativen werden ließ beziehungsweise zur Ersatzhandlung für die Aktivisten linker „Geschichtswerkstätten“, die im Gefolge des DDR-Zusammenbruchs orientierungslos geworden waren. Diesen Zahlen, die ein enormes Engagement beweisen, stelle man einmal die vergleichsweise überschaubare Anzahl an Gedenkstätten für deutsche Opfer des Bombenkrieges, der Vertreibung oder von Vergewaltigungsopfern der Nachkriegszeit entgegen. Der quantitative Vergleich dürfte alles über die Schwerpunktsetzungen der bundesdeutschen Politik aussagen.
Die Schieflage in der Denkmalskultur ist Produkt der Schieflage in der eigenen nationalen Identität und Selbsterinnerung. Es bestünde also auch bei den Gedenkstätten enormer Nachhol- beziehungsweise Korrekturbedarf, der allerdings leider erst nach einem grundlegenderen Politik- und Geisteswechsel gelöst werden dürfte.
Auch das öffentliche Gedenken an die vor 25 Jahren erfolgte friedliche Revolution in der DDR und die Wiedervereinigung gehört in den Zusammenhang dieser Schieflage. Die diesbezügliche Denkmalskultur steckt noch im Kleinkindstadium. Man könnte fast sagen, daß der deutsche Patient die letzten 25 Jahre in einer Art Wachkoma gelegen hat. Und so liegt es nahe, daß dem Twen mit dem Bewußtsein eines Kleinkindes nun erst einmal mit Wippen und bunten Würfeln der Weg in die bundesdeutsche Spaßgesellschaft gewiesen wird, statt mit einer umfassenderen Gedenkstättenplanung, die mehr an Würde und Reife auszudrücken in der Lage wäre.
Ein Denkmal hier, eines da, und das war es schon
Da der gedenkpolitische Komapatient also 25 Jahre kaum beziehungsweise nur eindimensional handelnd tätig war, ist die Zahl der Gedenkstätten zur deutschen Einheit immer noch sehr überschaubar.
An der ehemaligen Zonengrenze, zwischen Mellrichstadt und Meiningen, gibt es den rührigen „Skulpturenpark Deutsche Einheit“. Aus dieser Initiative stammt auch die Idee, für knapp 70.000 Euro vor dem Reichstagsgebäude eine Stele mit der Aufschrift „Wir sind das Volk“ aufzustellen. Der Souverän würde sich auf diese Weise auch symbolisch mahnend an die im Bundestag tagenden Parlamentarier richten.
Ebenfalls in der kaum bevölkerten freien Landschaft steht das Einheitsdenkmal „Wölbung der Hände“ am ehemaligen Grenzkontrollpunkt Helmstedt-Marienborn. Auch andere Denkmale finden sich vor allem in der Provinz. Es gibt ein Denkmal in Calbe an der Saale, eines in Menden, und ein kleines in Calvörde. Ein Denkmal existiert auf dem entsprechenden Platz im abseits gelegenen Münchner Stadtteil Denning. Hinzu kommen noch die kleinen Gedenkstätten in Erlangen, Herford, in Plauen und Zwickau. Das war es faktisch schon.
Deutsche Großstädte drücken sich um ein zentrales Denkmal
Die deutschen Großstädte drücken sich also auch noch nach einem Vierteljahrhundert um jedes diesbezügliche Gedenken. Somit ist die Berliner Wippe eigentlich schon deshalb zu begrüßen, weil nun überhaupt einmal an zentraler Stelle einer deutschen Großstadt auf wahrnehmbare Weise der Wiedervereinigung gedacht wird.
Auch für Leipzig ist ein baldiger – vielleicht bescheidenerer – Neuversuch wünschenswert. Ansonsten aber sind wohl verstärkt lokale Initiativen gefragt, die Erinnerung an die Jahre 1989-1990 für unsere Nachkommen mit Hilfe neuer Gedenkstätten auch im öffentlichen Raum wachzuhalten.