Der Prozeß gegen Christian Wulff gleicht dem Hornberger Schießen. Man mußte den Ex-Bundespräsidenten wirklich nicht mögen, um die Anklage, er habe sich für 720 Euro kaufen lassen, von Anfang an lächerlich zu finden. Das Verfahren hat den einzigen Zweck, dem politischen, juristischen und medialen Aufwand, mit dem Wulff zum Rücktritt gezwungen wurde, den Anschein von Berechtigung zu verleihen.
Es gab seinerzeit ganz andere Gründe, ihn zu kritisieren. Seine politische und intellektuelle Unbedarftheit zum Beispiel. Das anbiedernde Gefasel vom Islam, der zu Deutschland gehöre. Sein Pippi-Langstumpf-Geschwätz von der bunten und vielfältigen Republik. Die Kampagne hingegen, die ihn zu Fall brachte, kaprizierte sich auf Vordergründiges. Es war eine Treib-, eine Menschenjagd. Auf Wulff wurde noch eingeprügelt, nachdem er längst zu Boden gegangen war.
Eine Steigerung bot dann der Fall des Limburger Bischofs Tebartz-van-Elst, Bauherr eines angeblichen „Protzbaus“, ein Gelehrten- und Ästhetentyp mit wenig praktischem Sinn, der im Umgang mit Architekten, Baufirmen und Rechnungsprüfern heillos überfordert war. Übrigens ragt der neue Bischofssitz weit über den architektonischen Durchschnitt in der Bundesrepublik hinaus.
„Blutrausch der Medien“
Man bekam den Eindruck, daß den Medienarbeitern die Demütigung und Demontage Tebartz’ schon nicht mehr genügte, daß sie es wirklich ernst meinten! Ihre (teilweise öffentlich-rechtlich finanzierte) Vernichtungswut bot eine Entsprechung zu dem einschlägigen Jugendmob, der sich nicht mehr damit begnügt, das vereinzelte Opfer wehrunfähig zu prügeln, sondern ihm darüber hinaus mit Fußtritten das Hirn zermalmt. Das verbale Kopftreten freilich wurde mit feinsinnigen Argumenten unterlegt: Mit dem Drang nach Aufklärung, nach Mitmenschlichkeit, mit dem Ethos des Christentums. ‘s sind halt gute Menschen!
Die aktuelle Monatszeitschrift Cicero spricht von einem „Blutrausch der Medien“ und macht als Gründe geltend: Ihren ökonomischen und den Zeitdruck, die Zwänge des Online-Journalismus und so weiter. Der katholische Theologe Wolfgang Ockenfels wird auf kath.net deutlicher: „Die Qualitätspresse (…) verkommt immer mehr zur Hure einer Gesinnungsschnüffelei, der die Unterscheidung zwischen überprüfter Information und sachgemäßer Interpretation völlig gleichgültig ist. In den Redaktionen haben sich viele verkrachte Theologen, abgefallene Priester und entsprungene Mönche festgesetzt, die ihre Ressentiments abarbeiten wollen. Sie haben – wie Daniel Deckers in der FAZ – von der Inquisition nur die Folter, nicht die rechtsgeschichtlichen Fortschritte eines gerechten und transparenten Verfahrens gelernt.“
Das sind wichtige Stichworte. Greifen wir die „Folter“ heraus. Tatsächlich tobt sich in der journalistischen Praxis ein kaum verhüllter Sadismus aus: Die Freude daran, Wehrlose zu erniedrigen, der Genuß ihrer Ängste, das gefahrlose Ausleben eines unbegrenzten Machtrausches. Wichtig ist die Gefahrlosigkeit! Die medialen Sadisten haben eine feine Witterung für mögliche Risiken und meiden sie wie der Teufel das Weihwasser. Sie sind ängstlich und feige und stets darauf bedacht, auf der Seite der Macht zu stehen! Gleichzeitig erschnüffeln sie das wehrlose Opfer wie die Hyäne das Aas.
Der Selbsthaß sucht nach einem Ventil
Sadismus wird gewöhnlich als sexuelle Deviation definiert. Hier soll er als Form sozialer und psychischer Kompensation verstanden werden. Die Medien-Folterer kompensieren ihre Selbsterniedrigung, die Angst vor dem sozialen Abstieg, das miserable Ansehen des Berufsstandes, die Verachtung, die ihnen in den elektronischen Kommentaren in Echtzeit entgegenschlägt. Für Journalisten kursiert die Bezeichnung „Presstitutes“, eine Kombination aus Presse und Prostitution. Vor dem Sadismus kommt der Selbsthaß, der nach einem Ventil sucht. Selbst auf die überzeugtesten Überzeugungstäter wirkt es auf die Dauer nämlich demütigend, immerzu rechtsextremistische Popanze aufzublasen, die bereichernde Wirkung muslimischer Zuwanderung und den Nutzen des Euros zu preisen, gegenläufige Tatsachen aber unterdrücken zu müssen. Sie dürfen ja nicht einmal auf die zeitliche Nähe zwischen den eurokritischen Bemerkungen, die Wulff entschlüpften, und dem Hochkochen der falschen Bestechungsvorwürfe hinweisen. Was übrigens das Geständnis einschließen würde, daß sie selber in der Affäre nur als Funktionäre politischer Strippenziehern agierten.
Sie wissen, warum sie sich so verhalten. Das Beispiel Eva Hermanns war ein Lehrstück. Eben noch die unangefochtene Königin der „Tagesschau“, war sie plötzlich die Hexe, die von langjährigen Kollegen auf dem Medienfeuer geröstet und dann verbrannt wurde. Das kann jedem von ihnen passieren, wenn er vom Tugendpfad abweicht. Charakterliche Deformationen sind unter diesen Umständen unvermeidlich. Der soziale und gesellschaftliche kitzelt den moralischen Prekarismus hervor.
Die Erhöhung des Frauenanteils macht die Sache nicht besser. Als der Papst den Limburger Bischof eine Auszeit verordnete, trat Christiane Florin, Redaktionsleiterin der Zeit-Beilage Christ und Welt, nach mit der Behauptung, Franziskus habe ihn ins „Läuterungsbad“ gesteckt. Mit Tebartz sei die Katholische Kirche zur „Belustigungsanstalt“ und zum „Männerklub so peinlich wie Loriots Herren in der Badewanne mit Designer-Quietscheente“ degradiert. Solche Invektiven sagen mehr über die Autorin aus als über das Objekt ihres Hasses. Für den hat Florin auch ganz persönliche Gründe: Sie war Redakteurin beim Rheinischen Merkur gewesen, der so langweilig daherkam, daß niemand mehr zugreifen mochte und die katholischen Bischöfe den Subventionsstecker zogen.
Die politische und soziale Lage generiert einen Menschentyp, in dem Unterwürfigkeit und Sadismus eine aggressive Mischung ergeben, und schiebt ihn nach vorn. Da sich die Lage verschärfen wird, ist auch mit der Zunahme seiner Aggressivität zu rechnen. Selbst das Bündnis der Krypto-Sadisten mit den physischen Kopftretern liegt im Bereich des Denkbaren. Wer oder was sollte ihnen Schranken setzen?