Margarethe von Trottas Hannah-Arendt-Film hat seit seinem Anlaufen in Deutschland deutlich kleinere Wellen geschlagen, als man hätte erwarten können. Es finden sich eher teilweise ins Idiotische abgleitende Kommentare (siehe beispielsweise die Kommentarspalte des obigen Trailers, in dem sich über die Mehrsprachigkeit des Films beklagt wird); außerdem seltsame Rezensiönchen, die die im Film thematisierten Nebensächlichkeiten aus Eichmann in Jerusalem nachträglich bundesrepublikanisch verträglich geradezurücken bemüht sind und dabei dieselbe Scheuklappenmentalität zur Schau stellen, die auch die infamen Angriffe, denen sich Arendt seinerzeit ausgesetzt sah, motivierte.
Inhaltlich ist von diesem filmisch inszenierten (und auf ästhetischer Ebene sehr ansprechend daherkommenden) Lebensausschnitt Hannah Arendts natürlich nichts weltbewegend Neues zu erwarten. Wer seine Kinovorstellungen überhaupt besucht, wird mit dem Werk der politischen Philosophin ohnehin vertraut sein und sich auch bereits eine Meinung dazu gebildet haben. Als ich ihn mir vor einigen Wochen in einem geradezu zwergenhaften Nebensaal eines großen Berliner Lichtspielhauses zu Gemüte führte, überwogen im Publikum jedenfalls Mitmenschen weit jenseits der 40, oftmals mit betont gelehriger Miene und Attitüde.
Ob die tieferliegenden, bildhaften Analysen des Films – jenseits der aufwühlenden Handlung – allerdings ihren Zugang zum Bewußtsein jener Zuschauer gefunden haben mögen, darf bezweifelt werden. Bei genauerem Hinsehen ist es nämlich unverkennbar, daß von Trotta (unabsichtlich?) sehr genau das Verhältnis von amerikanischem zu europäischem Universitätsgelehrtentum eingefangen hat. In diversen Szenen sammeln sich Arendts US-Kollegen in einem Nebenraum und beäugen argwöhnisch die hitzigen Diskussionen zwischen der Protagonistin und ihrem Freundeskreis exildeutscher Denker. Hierbei dient die Mehrsprachigkeit des Films als eindeutiges Motiv der gegeneinander abgegrenzten Kreise, ebenso wie das fast ununterbrochene, demonstrative Rauchen nicht nur Arendts, sondern auch ihrer „alten Freunde“.
Amerikanische Bildungsemotionalität auch bei uns
Ganz offen wird denn auch im Laufe des Films, nachdem die Artikelreihe über den Eichmannprozeß ihren Anfang genommen hat, der große und unüberwindbare Unterschied ausgesprochen – Hannah Arendt sei „eine arrogante europäische Intellektuelle“ (oder gebärde sich zumindest so), ihr Hauptcharakteristikum sei „all arrogance and no feelings“. Ihre angloamerikanischen Kollegen, die ihr letztlich nahelegen, zum Wohle aller ihre Lehrtätigkeit aufzugeben, wissen hingegen sehr genau, wann reine Objektivität nicht die emotionale Herangehensweise an einen gewissen Themenbereich stören darf. Sie gestehen im Film ganz offen und mit einer unvergleichlichen Selbstverständlichkeit ein, daß es beim Thema Eichmann (und allem damit Zusammenhängendem) nicht um die reine Wahrheit gehe und gar nicht gehen dürfe – die menschlichen Emotionen wollten befriedigt werden, und für Arendts Widerstreben, auf ihre analytische Gabe zu verzichten und genau das zu tun, ernte sie nun den gerechten Lohn.
Der Arendt-Film zeigt, ganz unverblümt, eine lange zurückliegende Zeit, in der man nicht nur überall uneingeschränkt rauchen, sondern auch – gerade noch – sprechen und denken durfte. Heute ist auch an den deutschen Universitäten längst die amerikanische Bildungsemotionalität eingekehrt, und gerade die „phil.“-Disziplinen gefallen sich in der Vermittlung eines „Studiums der Gesinnungswissenschaften“ (Günter Scholdt). Dies gilt es zu betrauern, anstatt im Feuilleton oder uninteressanten Filmbesprechungsportalen an Arendts Publikationen herumzukritteln – wobei letzteres wohl das einzige sein dürfte, wozu das medial präsente, deutsche Bildungsbürgertum heutzutage noch in der Lage ist.