In diesem Sommer soll eine weitere Biographie über Leo Trotzki in deutscher Sprache erscheinen. Die Resonanz ist garantiert. Der russische Revolutionsführer und Organisator der Roten Armee, der später den innersowjetischen Machtkampf verlor, ins mexikanische Exil ging und dort auf Stalins Befehl 1940 ermordet wurde, ist für viele immer noch eine interessante Person von aktueller Bedeutung. Er gilt manchen Kreisen sogar als eine Art Inkarnation der angeblich guten Seiten der Bolschewiki, Verkörperer des wahren Sozialismus, als brillanter Intellektueller, unter dessen Leitung möglicherweise alles ganz anders gekommen wäre, will sagen: die Revolution weniger massenmörderisch (pardon: opferreich) und dafür siegreich ausgefallen wäre. Und beim nächsten Mal, wer weiß…
Robert Service ist der Autor der Biographie. Er weiß um diese Tendenzen und will ihnen bewußt entgegentreten. Es sei noch Leben in der Figur Trotzki, meinte er 2009 beim Erscheinen der englischen Originalausgabe. Entsprechend sei seine Biographie abgefaßt: „Da ihn der Eispickel nicht völlig erledigt hat, wird es hoffentlich mein Buch nun tun.“ Dies ist nicht nur ein flotter Ausspruch eines beliebigen Autors, sondern der des provokanten Wissenschaftlers Robert Service, Professor an der Universität Oxford und Autor zahlreicher Forschungsabhandlungen über die russische Revolution, Biograph auch von Lenin und Stalin.
Stete Hochachtung für die sowjetische Revolution in der Bundesrepublik
Mit diesen Ankündigungen allerdings bricht Service das Tabu, das bereits das Thema des letzten Beitrags an dieser Stelle über den „bundesdeutschen Konsens“ war. Es geht dabei um den Tonfall und den Stil der Geschichtsschreibung. Die stete Hochachtung für die sowjetische Revolution, die innerhalb der Bundesrepublik in praktisch sämtlichen Aufarbeitungen auch sowjetischer Untaten und Verbrechen zum Ausdruck kommt – ganz ausgeprägt übrigens in den Schulbüchern – fehlt bei Service. Trotzki ist auch ihm eine Person von historischem Rang, aber Mitleidlosigkeit, Gemeinheit und Verbrechen werden dennoch als das erkennbar, was sie waren.
So regt sich denn der typisch bundesdeutsche Widerstand. Konnte die britische Ausgabe der Trotzki-Biographie ungehindert erscheinen und sowohl eine französische wie eine spanische folgen, will jetzt eine ganze Anzahl prominenter Namen die deutsche Ausgabe verhindern. Darunter finden sich mit Peter Steinbach und Hermann Weber zwei Professoren der Universität Mannheim, die als Widerstands- und Kommunismusforscher den gegenwärtigen Konsens mitgeprägt haben. Aber auch Heiko Haumann, Professor aus Basel und Mario Kessler, Professor aus Potsdam haben sich eingereiht. Sie und einige andere haben den Suhrkamp-Verlag letztes Jahr in einem offenen Brief aufgefordert, das Buch von Robert Service nicht erscheinen zu lassen. Es geht ihnen dabei nicht um einige mißliebige Passagen, sondern um die Gesamttendenz.
Eine besondere Begründung geben sie daher nicht. Den Vorwurf des Antisemitismus lassen sie durchblicken, erheben ihn aber nicht ausdrücklich. Schließlich wäre es kaum zu begründen, warum eine Trotzki-Biographie nicht auch die feindlichen Angriffe der Zeitgenossen auf Trotzkis jüdische Herkunft zum Thema haben sollte. Aber darum geht es letztlich wohl kaum. Es geht um die drohende Gefährdung einer jahrzehntelang erfolgreich gepflegten Verharmlosungsstrategie durch nichts weiter als – ein Buch.