Wie ist die Theodizee der politischen Korrektheit aufgebaut? Nun, ihrer grundlegenden Bewegung nach ist sie das säkulare Nacherleben des Manichäismus. Die Welt scheidet sich in gut und böse, Licht und Finsternis, welche um die Vorherrschaft ringen, bis zum entscheidenden Sieg am Ende aller Tage. So weit, so gut. Nur hatten die alten Perser den Vorteil zu wissen, was das Gute und was das Böse ist. Wie aber gezeigt wurde, herrscht für die Gegenwart diesbezüglich Ratlosigkeit.
Wer gehört nun zu den guten und wer zu den bösen Menschen? Dem alten Perser fiel die Antwort leicht: Befolge die Gesetze meines Volkes, dann zählst du zu den guten. Denn durch dieses Volk verwirklicht sich das gute Prinzip in der Welt. „Völker des Lichtes“, das war der altehrwürdige Name der Arier. Widersacher der arischen Völker waren folglich die bösen Menschen. Durch die vom Osten hereindrängenden Turkvölker verwirklichte sich also für den alten Perser das böse Prinzip in der Welt.
Der Kampf zwischen den Völkern des Lichtes und den Völkern der Finsternis, zwischen Gut und Böse in der und durch die Geschichte: man kann durchaus sagen, daß der Nationalsozialismus in einem gewissen Sinne sehr erfolgreich war, den Manichäismus in der Gegenwart wieder aufleben zu lassen. Der heilige Schauer, mit dem der alte Perser den Namen „Ahriman“ als den Gott des Bösen hörte, er überkommt den Deutschen der Gegenwart, wenn er den Namen „Auschwitz“ hört.
Geburtstrauma des Manichäismus
Dem Nationalsozialismus verdanken wir also das Wiederaufleben des Manichäismus in säkularer Form. Er steht am Anfang einer Theodizee der politischen Korrektheit, die ohne ihn unvollstellbar wäre. Aber er modifizierte lediglich die volksmäßigen Vorstellungen der alten Perser. Er definierte das Volk der Deutschen als „Arier“, daß heißt als dasjenige Volk, durch welches sich das gute Prinzip in der Welt verwirklicht. Und er definierte sich ein Volk, durch welches das Böse in der Welt wirke.
Damit aber und der damit verbundenen Enthemmung, diskreditierte der Nationalsozialismus den durch ihn wiederauflebenden Manichäismus zugleich wieder: Das absolut Gute, als welches sich der Nationalsozialismus verstand, wurde so zum absolut Bösen. Ein Geburtstrauma des Manichäismus, deren Resultat nichts anderes als die Theodizee der politischen Korrektheit ist. Denn was war die einzige, scheinbar richtige Schlußfolgerung aus dieser Erfahrung?
Sobald ein Volk, eine Gemeinschaft, eine Verbindung von Menschen sich anschickt – und wenn es auch nur leise Andeutungen sind – für sich in Anspruch nehmen zu wollen, durch sein Dasein das Prinzip des Guten in der Welt zu verwirklichen, in diesem Augenblick verfallen diejenigen Menschen nichts anderem, als dem Prinzip des Bösen. Eine Vorstellung, die in ihrer manichäischen Grundbewegung kein Dazwischen, kein sowohl als auch, sondern nur ein absolutes, sich stets selbst negierendes Entweder oder kennt.
Was ist das Gute, was ist das Böse?
Ein unauflöslicher Circulus vitiosus, der in seiner dialektischen Bewegung als ständiger Selbstvernichtung jeden Standpunkt der Weltbetrachtung verhindert. Was ist das Gute, was ist das Böse? Schon die Frage, durch die man sich als der Angehörige eines Volkes, einer Gemeinschaft, einer Verbindung von Menschen, über andere empöre, vernichtet den Erkenntnisakt bereits in der Entstehung. Nicht nur die Deutschen, sondern auch ihre damaligen Gegner, sind davon betroffen.
Sie allesamt stellen sich seitdem die Frage „Wie konnte so etwas wie der Nationalsozialismus geschehen?“ Und: „Wie können wir so etwas heute verhindern?“ Das Resultat ist die Bereitschaft zu einer unendlichen Selbstverleugnung und Selbsterniedrigung des fortschrittlichen Teils der Menschheit, welches die Geißlerbewegungen des christlichen Mittelalters bei weitem übertrifft. Das denkbar Widerwärtigste, Abstoßendste, zu dem andere Völker herabgesunken sind, du darfst es nicht kritisieren.
Was ist also die Theodizee der politischen Korrektheit, ihrem theologischen Gehalt nach? Sie ist das Herrschaftsinstrument desjenigen Prinzips, welches die Welt in Chaos und Unordnung stürzen will. Und welches nicht möchte, daß die Menschen zu der Erkenntnis von Gut und Böse gelangen. Denn dann könnten diese Menschen es bei seinem Namen nennen. Das will dieses Prinzip aber nicht. Es will, das alles so bleibt wie es ist, und die Menschen in ihrer Orientierungslosigkeit noch den größten Unsinn glauben.
> Die Theodizee der politischen Korrektheit I