Würde ein Kind in der Öffentlichkeit rülpsen, in der Nase bohren, andere bespucken oder hauen, würde jeder erwarten, daß seine Eltern es zur Ordnung rufen. Wohl niemand käme auf die Idee, der Mutter oder dem Vater vorzuwerfen, sie würden ihr Kind in festgefahrene, altmodische Bahnen pressen wollen oder gar sein wahres „Ich“ mißachten.
Anders wäre es, wenn ein Junge einen Rock tragen wollte. Denn in geschlechterspezifisches Verhalten darf heute erzieherisch nicht mehr eingegriffen werden: Jeder soll sein „Gender“ selbst finden und das sein, was er gerade sein will. Alles kann, nichts muß. Und erlaubt ist, was Spaß macht.
Die Welt der Kinder ist knallhart, starr und archaisch
Was oft vergessen wird: Diese neue supertolerante und genderneutrale Weltordnung mag vielleicht von Erwachsenen akzeptiert werden, nicht aber von Kindern. Denn Kinder sind untereinander gnadenlos.
Bei ihnen gilt noch die Regel: Nur der Stärkste überlebt. Hier darf eben nicht jeder so sein, wie er möchte. Schon kleine Unterschiede, beispielsweise, daß ein Kind anders spricht, können zu Ausgrenzung, Hänseln und Mobbing führen. Wie wäre es also, wenn ein Junge im Kindergarten einen Rock anziehen würde?
Nils Pickert schreibt in der Emma, sein fünfjähriger Sohn trage gerne Röcke und deswegen habe er selbst auch damit angefangen (nach dem Motto: Mein Sohn will rülpsen, also habe ich auch damit angefangen). „Schließlich kann ich ja von einem Kind im Vorschulalter nicht das gleiche Durchsetzungsvermögen erwarten wie von einem Erwachsenen. So ganz ohne Vorbild. Das Vorbild bin jetzt also ich.“
Ja, die Welt ist böse, ungerecht und voller Unverständnis: Sein Sohn hat mit Röcke- und Kleidertragen nämlich keine Freunde gefunden. Und in der Kita haben ihn die anderen Kinder auch noch ausgelacht. Bald traute sich der arme Junge „mit Rock oder Kleid nicht mehr in die Kita“.
Lebenslange soziale Ausgrenzung und Identitätsprobleme
So konnte es also nicht weitergehen, schreibt Pickert. Und weil er ein Vater sei, der versuche, seine Kinder, „gleichberechtigt zu erziehen“, habe er die Schultern für seinen „kleinen Kerl“ breit gemacht und sich selbst einen Rock angezogen.
Denn: „Ich bin keiner von diesen Akademikerpapis, die im Studium von Geschlechtergerechtigkeit faseln und dann, sobald ein Kind da ist, doch in das kuschelweiche Klischeerollenbild zurückfallen: Er verwirklicht sich beruflich, sie kümmert sich um den Rest.“
Ein richtiger Held also, der gute Papa. Denn mittlerweile lackiere der Sohn sich auch seine Fingernägel! Wenn andere Jungen sich deswegen über ihn lustig machen, schmunzelt er angeblich nur und antwortet ihnen: „Ihr traut euch doch nur nicht, Röcke und Kleider zu tragen, weil eure Väter sich auch nicht trauen.“ So breite Schultern habe er jetzt bekommen, schreibt Pickert stolz und fügt nicht ganz ohne Selbstverliebtheit hinzu: „Und alles Dank Papa im Rock.“
Daß er seinem Sohn damit eventuell nicht wirklich einen Gefallen getan hat, scheint Pickert egal zu sein. Spätere Identitätsprobleme? Ach, was! Soziale Ausgrenzung? Quatsch, der Junge hat ja jetzt breite Schultern. Hauptsache Papa kann sich als guter Mensch fühlen und seiner eigenen Wunschvorstellungen von einer genderneutralen Welt nachjagen. Mit Erziehung, also damit, ein Kind fitt fürs Leben zu machen, hat das allerdings nichts zu tun.