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Stürmt die Redaktionsstuben!

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Weihnachts-Abo, Weihnachtsbaum, Zeitungen

Schon wieder gibt es eine neue Occupy-Bewegung! Diesmal geht es aber nicht um die Wallstreet oder die Finanzwirtschaft im allgemeinen, sondern um die Feuilletons. Losgetreten wurde „Occupy the Feuilletons“ von Thor Kunkel, und wer möchte, kann ihn bei Facebook unterstützen. Recht hat er mit seiner Kritik am selbstreferentiellen Kungel- und Klüngelwesen der „ehrenwerten Gesellschaft“ von Kritikern und arrivierten Autoren, die sich gegenseitig beschwatzen, belobhudeln und Preise verleihen, sicher allemal.

Die Ablehnung des Manifestes durch Cicero-Chefredakteur Michael Naumann bestätigt gerade das von Kunkel angeprangerte Spezi- und Amigotum. Eigentlich war Naumann von Kunkels Brandrede nämlich recht angetan, aber er fürchtete sich, ein paar Freunden vor den Kopf zu stoßen.

Haßliebe zum Feuilleton

Freilich ist Kritikerschelte so alt wie der Literaturbetrieb, und der „Kritikaster“ ist aus der Sicht des Autors stets der sekundäre, neidische Schreiberling, der sich durch Verrisse schöpferischer Werke bei deren Verfassern für seine eigene Unproduktivität rächt, dabei seine Macht über den brotlosen Künstler auskostet und sich daran erfreut, daß die – meist auch nicht üppigen – Honorare, die er für ein paar beiläufige Sudeleien erhält, dennoch die Einnahmen mancher Dichter an den Werken vieler Jahre übersteigen.

Umgekehrt tritt der Autor für den Kritiker entweder als eitle Diva – falls er Erfolg hat –, oder – weitaus häufiger – als larmoyantes, ewig verkanntes Genie in Erscheinung, das alles andere, nur nicht seinen Dilettantismus für seine Erfolglosigkeit verantwortlich macht. Das Verhältnis des, seiner Auffassung nach, nicht hinreichend öffentlich gewürdigten Schriftstellers zum Feuilleton ist dann das einer Haßliebe, wie in mancher dauerproblematischen Beziehung, in der man voneinander nicht loskommt. Der Autor giert nach den süßen Trauben der Prominenz, erklärt sie aber für sauer: Er „möchte“ gar keinen Bestseller schreiben, weil das unter seinem Niveau liege. Statt dessen geht er um der Kunst willen „lieber“ einem Brotberuf nach und „verwirklicht“ sich nur in der Freizeit.

Anders Thor Kunkel: Der Verfasser von Romanen wie „Das Schwarzlicht-Terrarium“, „Endstufe“, „Schaumschwester“ und „Subs“ hat durchaus gezeigt, daß sich Erfolg, stilistisches Niveau und vor allem originelle Ideen nicht ausschließen müssen und daß er, nicht nur nebenbei, auch etwas von Marketing versteht. In die Feuilletons gelangte er, trotz politischer Inkorrektheit, schon häufig, wenn auch eher wie ein ungebetener Gast – beinahe so wie ein Pirat, der plötzlich breitbeinig in der Bar des Luxusdampfers steht und den Enterhaken in die Tischplatte donnert, daß der aufgeschreckten feinen Gesellschaft die Champagnergläser ins Dekolleté springen.

Wirkliche Literatur blüht weiterhin im Verborgenen

Natürlich kann man seinen neuerlichen Versuch, die Feuilletons zu „okkupieren“, wie Marc Reichwein in der Welt als Eigenwerbung sehen. Das ist er vielleicht auch, und Kunkel ist in der Tat ein ausgesprochener Werbeprofi, aber seiner Benennung tatsächlicher Probleme – der Verfilzung und Monopolisierung, geistigen Unfreiheit beziehungsweise Blockwart-Mentalität sowie der totalen Kommerzialisierung des Literaturbetriebs auf Kosten literarischer Qualität – wird damit geflissentlich ausgewichen. Würde Reichwein etwas anderes schreiben, wäre er seinen Job vermutlich los, und ein anderer, ebenso austauschbar wie er, würde seinen Platz einnehmen.

Vielleicht besteht darin die Hoffnung für jeden Versuch, den Kulturbetrieb umzukrempeln: Einige personelle Auswechselungen an der Spitze, wenn der Wind sich doch einmal wirklich dreht, und die große Masse der Schreiberlinge würde ihr Mäntelchen anders hängen. Allerdings gehen keine Veränderungen von den – nur die Machtverhältnisse ideologisch abbildenden – Feuilletons aus, sondern müssen woanders beginnen. Solange dies noch nicht der Fall ist, hat jede Occupy-Bestrebung bestenfalls den Erfolg kurzfristiger, dennoch unterstützenswerter Aufmerksamkeit. Wirkliche Literatur blüht weiterhin im Verborgenen.

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