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Osama bin Laden: Die Ästhetik des Terrors

Osama bin Laden: Die Ästhetik des Terrors

Osama bin Laden: Die Ästhetik des Terrors

 

Osama bin Laden: Die Ästhetik des Terrors

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Osama bin Laden ist tot. Als politisches, (a-)moralisches, soziokulturelles und Verschwörungsphänomen ist er ausreichend beschrieben worden. Vor allem in den letzten Wochen. Um so beharrlicher die Weigerung, die „ästhetische Dimension“ des al-Qaida-Chefs zu analysieren. Zu wirksam noch das bildungsbürgerliche Credo von der Trinität des „Guten, Wahren und Schönen“, der Untrennbarkeit von Ethik und Ästhetik.

Den radikal „amoralischen“ Künstler darf es nicht geben, ein Problem, mit dem Frankreich sich aktuell zum 50. Todestag des Schriftstellers Louis F. Céline herumschlägt. Aber solche Trennung gilt auch umgekehrt: Grauenhafte Ereignisse dürfen nicht ästhetisch analysiert werden. Sofort steht der Zynismusverdacht im Raum. Den Horror ästhetisch zu erfassen, gilt als „obszön“, als „nicht angemessen“. Die Behauptung des Filmregisseurs Hans-Jürgen Syberberg, Hitler habe den Krieg geführt, um ein gigantisches Filmsujet zu erstellen, um spektakuläre Wochenschau-Aufnahmen zu ermöglichen, wirkte ähnlich irritierend wie Ernst Jüngers Assoziation zwischen bombardierten Dächern in Paris und einem Glas Erdbeer-Burgunder.

Eine „Ästhetik des Häßlichen“ (Karl Rosenkranz, 1848), die eigentümliche „Schönheit“ des Schrecklichen kommt bestenfalls bei Film und Literatur, also im fiktionalen Bereich, zur Diskussion. Dagegen spricht nur, daß ein Aussparen dieser Dimension das Schreckliche insgesamt verfehlt, ein Phänomen wie den al-Qaida-Chef nur halb verstehen läßt. Denn soviel sei vorab gesagt: Bin Laden kannte den ästhetischen Code des Westens. Er kannte und nutzte ihn, um seiner politischen Terrorbotschaft maximale Wirkung zu verleihen, die (Angst-)Phantasien des Westens zehn Jahre zu okkupieren.

Bin Laden ließ zerstören, was sein Vater zuvor errichtete

Als Sohn eines Star-Architekten, der Pracht- und Regierungsbauten erstellte, besaß Osama bin Laden ein Gespür für die Symbol- und Repräsentationsfunktion von Bauwerken. So eindrucksvoll wie der Vater errichtete, würde der Sohn später abreißen. Die Höhe des väterlichen Einkommens ermöglichte der Familie ein Luxusleben im westlichen Stil. Als sie in ein schwedisches Hotel einkehrten, hielt dessen Managerin die Familie für amerikanische (!) Filmstars, derart „westlich“ schien ihr Glamour.

Außerdem ließ sich der junge Osama bin Laden von US-Western, Serien wie „Bonanza“ faszinieren. Einem Genre, das den einsamen Rächer feiert. Kurzum, er durchlebte früh den ästhetischen Code des Westens, bevor er mit ihm spielte. Dies läßt sich überdeutlich am Anschlag des 11. September zeigen. Deren Bilder hatte das Hollywood-Kino bereits in unzähligen Katastrophenfilmen antizipiert: Schon im Kassenknaller „?The Towering Inferno“ (Flammendes Inferno, 1974) oder dem 1976er „King Kong“-Remake, das den finalen Kampf des Riesenaffen auf die – damals neuen – Twin-Tower verlegte (Aus diesem Grunde verschwand der Streifen nach 2001 jahrelang aus dem TV-Repertoire).

Als die Bilder am 11. September auf den Bildschirm gelangten, schienen sie seltsam vertraut: Klassische Katastrophenfilm-„Ästhetik“, nur noch spektakulärer, verwies Hollywoods Spezialeffekt-Technik auf den zweiten Platz. Die Grenze zwischen Dokumentation und „Snuff“-Film, bei dem Menschen vor der Kamera getötet werden, war zerrissen.

Bin LadensHammershow“

Die archaische Gewalt altrömischer Spektakel, deren Protagonisten keineswegs freiwillig mitwirkten, feierte grausige Auferstehung auf neuestem Technik-Stand. Amerikanische Journalisten griffen bei der Berichterstattung ungehemmt zu Vergleichen aus der Kunstgeschichte: Das sei wie „Dantes Inferno“, keuchte ein US-Reporter. Deutsche Live-Kommentatoren versuchten hingegen die unfreiwillige Faszination der Schreckens-Bilder zu übertönen, indem sie das ethische Desaster betonten.

Auch rückwirkend gestand man die ästhetische Wirkung nur indirekt. So einen Tag nach dem Anschlag, also am 12. September 2001, in einer Berliner Schule: Natürlich waren alle betroffen, aber als eine Schülerin erklärte, sie habe die gestrige Katastrophe nur über Radio verfolgt, erhielt sie sofort „Beileidsbekundungen“: Was sie doch für eine Hammer-Show verpaßt habe….

Bereits ein halbes Jahr später erschienen seltsame Bildbände über das Attentat: Hochmoralisch kommentiert, boten sie ein „Best off“ an Foto-Illustrationen. Zwei Wochen nach dem 11. September erklärte der Komponist Karl Heinz Stockhausen den Anschlag zu einem der „größten Kunstwerke“ des Jahrtausends, während eine Amsterdamer Museumsdirektorin den Zusammenbruch der Twin Towers mit dem Fall der Türme Babylons verglich, damit die mythische Dimension des Geschehens betonte.

Bin Laden sah sich als Katastrophen-Regisseur

Nochmal: Es geht nicht darum, Bin Laden postum für einen Theater- oder Performance-Preis vorzuschlagen, sondern die Wirkungsmechanismen seiner Aktionen zu erfassen, die „Inszenierungsstrategie“ zur Durchsetzung der politischen „Botschaft“. Bin Laden legte sich nicht nur mit westlicher Politik, sondern auch mit westlicher Filmästhetik an, übertraf als „Regisseur“ alle Katastrophen-Szenarien Hollywoods. Die westlichen Medien bissen an, erhöhten die spartanische „Tora Bora“-Festung zu einer „James Bond-Zentrale“ (Spiegel TV).

Selbst jene Soldaten, die Bin Laden erschossen, wurden als „James Bonds“ tituliert. Der al-Qaida-Chef wurde restlos in Hollywoods semiotischen Dschungel integriert. Es war kaum verwunderlich, daß die post mortem publizierten Videos ihn als eitlen „Filmstar“ zeigten: Wie er seinen grauen Bart färbte, als Regisseur via Monitor die eigene (Selbst-)Darstellung kritisch verfolgte. Kommentatoren, die das als „Armutszeugnis“ deuteten, bewiesen nur, wie wenig sie das Phänomen des „medialen Bilderkrieg“ verstanden hatten.

In Bin Ladens Todesstunde konterte die westliche Welt mit einer Inszenierung, die ähnlich mythische Dimensionen erreichte wie einst die Twin-Tower-Destruktion: US-Politiker ließen sich filmen, als sie Bin Ladens Tötung mit steinerner Miene als Live-Snuff-Übertragung beschauten. Die Selbstermächtigung, einen Menschen zu töten, dabei sein Intimstes, den zerberstenden Organismus, sein Sterben aus sicherem Abstand zu „begutachten“, machte die US-Regierung zu absoluten Herrschern, zu Totengöttern. Zumal sie das Gesehene jedem anderen Menschen vorenthalten.

Bin Ladens Trugschluß: Der Westen liebt das Leben

Auch deshalb ist vielleicht die Publikation der Tötungsfotos untersagt: Sie würde besagtes Allmachtsprivileg relativieren. Außerdem will Hollywood noch einen filmästhetischen Sieg zelebrieren: Action-Regisseurin und Oscar-Preisträgerin Kathryn Bigelow plant einen Film über den Tod des al-Qaida-Chefs. Arbeitstitel: „?Kill Bin Laden“ (klingt nach „Kill Bill“).

Natürlich sind ästhetische Wirkungen zeitlich limitiert. Und ironischerweise entwickelte Bin Laden die seinige auf Grundlage falscher Annahmen. Er glaubte, der Westen liebe das Leben und sei deshalb durch Selbstmordattentäter zu erschüttern („I?hr liebt das Leben, wir lieben den Tod“). Der Terrorist erkannte nicht, daß diese Lebensliebe nur hedonistische Oberfläche war. In Wahrheit genießt der Westler das Grauen, den Schrecken: „Während wir über das Wesen Gottes und die Möglichkeit eines Lebens nach dem Tode weiter kein Wort verlieren, gehen wir bereitwillig und penibel noch die feinsten Nuancen phobischen Jammers durch“, schrieb der Autor Clive Barker in seinem „Zweiten Buch des Blutes“.

Fazit: „Keine Wonne kommt der des Grauens gleich.“ Zumal die politische Situation der Jahrtausendwende dem unterschwelligen Todestrieb kräftig Nahrung gab: Auf dem Höhepunkt neoliberaler Globalisierungswut überschattete Existenzangst die propagierte Lebensgier. Denn Scheitern bedeutete jetzt: „Man lebt nicht einmal einmal“ (Karl Kraus).

Bin Ladens Zerstörungswerk ästhetisch überholt

Das aber schürt den heimlichen Todestrieb, nährt die Faszination der Selbstzerstörung. Da wirkte Bin Ladens Destruktionsakt wie ästhetisch-verdichteter Zeitgeist. Mehr noch, die ausufernde Panik vor weiteren Attentaten, der man Bürgerrechte opferte, trotz prozentual geringer Wahrscheinlichkeit, bei einem Anschlag zu sterben – diese Angst war (auch) unbewußter Selbstbestrafungs- und Kapitulationswunsch.

Inzwischen ist die Welt nicht mehr dieselbe: Nach der Wirtschaftskrise 2008 geriet der Glaube an globale Freimärkte ins Wanken, Klimafragen drängen sich in den Vordergrund. Japans Atomkatastrophe brachte „alternativlose“ Weiter-so-Politik endgültig zu Fall. Die Revolutionen der arabischen Welt destruieren al-Qaidas angemaßte Rolle als Repräsentationsbewegung. Und Filme wie Roland Emmerichs „2012“ ließen mit modernster Digitaltechnik die ganze Erde zusammenbrechen, haben die Wirkung der Twin-Tower-Bilder „ästhetisch überholt“.

Vor diesem Zeitgeistwandel ist Bin Laden ein Relikt der Vergangenheit. Als der Künstler Anselm Kiefer zu Beginn des Jahres erklärte, Bin Laden habe ?„das perfekteste Bild geschaffen, das wir seit den Schritten des ersten Mannes auf dem Mond gesehen haben“ (wobei er allerdings keinen Terrorakt, sondern lediglich „symbolträchtige Bilder“ kreieren wollte), regte das im Publikum niemanden mehr auf. All das zeigt nur: Als Bin Laden starb, war „seine“ Zeit in doppelter Hinsicht abgelaufen.

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