Mit nur zwei Texten, einem Artikel in der linken Tageszeitung Junge Welt und einer ihn kommentierenden Rede auf der Rosa-Luxemburg-Konferenz, hat Gesine Lötzsch zu Jahresbeginn für einen politischen Furor gesorgt, wie es keiner der etablierten Parteien auf ihren wichtigtuerischen Klausurtagungen gelang. Was für eine Betroffenheit in Presse und Politik! Und nur weil das Wort Kommunismus fiel, wußte gleich wieder jeder Bescheid und meinte, etwas dazu sagen zu können.
Das ist symptomatisch für das politische Geschäft: Reizworte und schnelle Reflexe reichen völlig aus, um Stellungnahmen absondern und irgend etwas auf den Leser hin schreiben oder kommentieren zu können, um ihn – ganz Gesamtschuldidaktik – dort abzuholen, wo er steht. Genau das ist das Prinzip Bild-Zeitung, dem die Journaille folgt wie die Lebensmittelhändler den Aldi-Preisen.
Politische Kultur beginnt mit inhaltlicher Auseinandersetzung
Ich unterstelle, daß kaum jemand die Beiträge von Frau Lötzsch durchgelesen hat, vielleicht weil sie, typisch für die latent zerstrittene Linke, einem angestrengten Duktus folgen, der eine Menge Druckzeilen erfordert. Weshalb aber vernimmt man nur publizistisches Geschrei und wird in Betroffenheitsinszenierungen hineingezwungen, anstatt daß es jemand übernähme, sich mit Lötzsch’ Auffassungen auseinanderzusetzen, womit die politischen Kultur erst begänne?
Diese Auseinandersetzung wird nirgendwo qualifiziert geführt, weil jede Seite – die kritische Linke und Rechte ebenso wie die philiströse „Mitte“ – nur ihre eigenen Liedchen pfeifen möchte und bass erschrocken ist, wenn ein anderer sie mit seinem aus dem Rhythmus bringt.
Was ist das Anliegen von Frau Lötzsch? Man kann über ihre Beiträge streiten, aber sie redet nirgendwo einem Kommunismus stalinistischen oder poststalinistischen Verständnisses das Wort, sondern analysiert eine Gesellschaft, die sich über ihre existentiellen Probleme und diversen Krisenerscheinungen in einem fatalen Prozeß von Selbstillusionierung belügt und vertagt, und sie denkt dann auf ihre politische Weise nach: „Wir wissen gar nicht, ob die Mechanismen der Wohlstands- und Verteilungsdemokratie der Bundesrepublik geeignet sind, solche komplexen Aufgaben zu lösen und friedlich abzuarbeiten. Ich habe da meine Zweifel. Die Regierung verbreitet schon jetzt nur noch Kompetenzillusionen. Allerdings sehe ich auch die Linken noch nicht wirklich gut gerüstet, wenn es um die Bewältigung von Gesellschaftskrisen geht.“
Argumentation im Sinne Luxemburgscher Realpolitik
Was sich daran anschließt, ist eine Argumentation im Sinne Luxemburgscher „radikaler Realpolitik“, deren Zielrichtung man politisch illusionär und unangemessen finden kann, die aber genau das Gegenteil dessen vertritt, was mit Lenin und Stalin begann und vom Blocksozialismus des 20. Jahrhunderts in historisch eher kurzer, aber opferreicher Frist tragisch fortgesponnen wurde.
Auf die Gefahr hin, mich öffentlich unmöglich zu machen, wünschte ich mir, man nähme den politischen Gegner in seinen Positionierungen genau zur Kenntnis, um dann den harten Diskurs mit ihm zu führen. Dazu müßte im Verfahren zweierlei geleistet werden: Erstens käme es darauf an, detailliert zu verstehen, was gesagt wurde und dabei die Analyse nachzuvollziehen. Damit blickt man in die anderen Gedanken. Zweitens wäre man gefordert, stichhaltig zu argumentieren und zu urteilen, über diese Gedanken.
Aber nicht einmal das Erste geschieht, weil alle Diskutanten wie der Pawlowsche Laborhund reagieren, der beim Aufleuchten einer bestimmten Lampe nur einen Reflex parat hat. Es ist bedauerlich, daß allein schon Worte und Begriffe kaum mehr differenziert aufgefaßt und kritisch geklärt werden können. Nein, es wird sogleich ins Megaphon gesprochen, ohne daß die Semantik überhaupt klar wäre. Als ich 1981 aus der DDR-Schule flog, verfuhren meine SED-Lehrer genauso: Sie hatten etwas von meinen Äußerungen gehört, fanden die kontaminiert und meinten Bescheid zu wissen. Hingehört hat keiner.
Nur wer den Gegner kennt, kann mit ihm diskutieren
Zum naheliegendsten Mißverständnis: Ich verteidige hier nicht Frau Lötzsch. Ich wünschte mir nur, daß man liest, was die Konkurrenz zu sagen hat, um dann, meinetwegen polemisch, aber kenntnisreich, darüber zu diskutieren, und zwar themenbezogen von den Grundlagen her, anstatt wie am Primatenhügel loszutoben.
Nur ein lapidares Beispiel: Der Satz von Frau Lötzsch, an dem sich alles aufzäumte, ist vergleichsweise belanglos: „Die Wege zum Kommunismus können wir nur finden, wenn wir uns auf den Weg machen und sie ausprobieren, ob in der Opposition oder in der Regierung. Auf jeden Fall wird es nicht den einen Weg geben, sondern sehr viele unterschiedliche Wege, die zum Ziel führen.“
Das ist Spruchbeutelei und unter anderem von Ernst Bloch vor Zeiten besser, aber genauso vergeblich gesagt worden. Weshalb aber stürzt sich alles darauf? Weil dieser ziemlich nullige Satz ganz vorn steht und weil er ein Reizwort enthält. Alles von Belang und Anspruch steht weiter hinten. Und dazu hörte ich nirgendwo etwas, obwohl es dort erst interessant wird und man sich kritisch dem gegenüber orten könnte.
Linke und Rechte blicken aus anderem Winkel auf dieselbe Krise
Ich kenne den Einwand, der jetzt folgt: Wo was von Kommunismus drauf steht, das lese ich prinzipiell nicht, weil es nur linker Schnarren sein kann. Brustkastengetrommel! Genau hier liegt der politische Fehler oder die mangelnde intellektuelle Redlichkeit. Hic Rhodus, hic salta!
Ich hätte große Lust darauf, mich mit den Positionen der Linken dezidiert auseinanderzusetzen, ebenso genau im Argument wie ritterlich gegenüber Frau Lötzsch. Ich bin sicher, daß dabei die interessantesten Entdeckungen zu machen sind, unter anderem über das, worauf die Rechte und Linke auf verschiedene Weise blicken, eine kaschierte Krise, die nicht vorbei ist, sondern alle auf eine Weise herausfordern wird, wie es bisher nur vorgeschmacklich geschah.