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Eingestampfter Chopin

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Weihnachts-Abo, Weihnachtsbaum, Zeitungen

Die Idee des polnischen Außenministeriums schien originell: Im Frédéric- Chopin-Jahr 2010 wollte man den berühmten Sohn des Landes auch deutschen Schülern nahebringen. Und zwar mittels eines zeitgenössischen Mediums, dem Comic. Für die Gestaltung ließen sich der Graphiker und Sänger ?Krzysztof Ostrowski, zwei weitere polnische und drei deutsche Zeichner gewinnen. Die stellten Chopin zwar in schwarz-rot-goldenen Kontext, machten aus seiner Vita jedoch das, was man auf städtischen Bühnen als „Regietheater“ bezeichnet, das heißt unternahmen radikale Aktualisierung.

Keine 1:1-Illustration der Lebensgeschichte, sondern frei erfundene Popstar-Mythen boten sie, ähnlich dem britischen Regisseur Ken Russel, der 1975 in „Lisztomania“ den Komponisten Franz Liszt, gespielt von Roger Daltrey („The Who“), zum coolen Musikstar stilisierte. So stellt die Autorin Agata Endo Nowicka den Popstar Chopin in den „Killing me softly“-Kontext, läßt ihn am PC komponieren. Andere schicken ihn mit einem Skinhead durch die Straßen oder gar in den Knast. Dort hagelt es Kraftausdrücke aus dem Genitalbereich bis hin zum „Schwulenholocaust“; letzteres sei laut taz ein „in polnischen Knästen allerdings übliches Schimpfwort“.

Auslieferung der Comics an deutsche Schulen wurde gestoppt

Außenminister Radoslaw Sikorski, Mitglied der regierenden ?Kaczynski-Partei (PO), stoppte die Auslieferung des Comics an deutsche Schulen, ließ die 3000 Exemplare einstampfen. Wodurch der Sammlerwert geretteter Reststücke in die Höhe schoß: Vor wenigen Tagen kam eines, mit Originalsignatur des polnischen Botschafters, für 60 Euro unter den Hammer.

Zugegeben: Mit kreuzbraven Bilderbuch-Illustrationen macht man aus Jugendlichen keine Chopin-Hörer. Aber der kulturmissionarische Wert solcher Comic-Adaptionen ist ebenso zweifelhaft, auch ohne die beklagten Kraftausdrücke. Zwar läßt sich die Person des polnischen Komponisten leicht in die moderne Popkultur verpflanzen, schwerer aber dessen Musik, deren Rhythmik und Stimmung dem „modernen“ Leben weithin entgegenstehen. Lediglich die Soulsängerin Alicia Keys überzeugte mit einer Kombination aus eigener Pop-Musik und Chopins Piano-Kompositionen. Jugendliche, dem Pop-Chopin des Comics womöglich zugetan, hätten trotzdem keine CD mit seiner Musik gekauft. Ebensowenig wie das Publikum von „Lisztomania“ zu Fans Lisztscher Musik wurde.

Richard Strauss in der Hippiekultur

Einen gänzlich anderen Weg ging Stanley Kubricks Film „2001: Odyssee im Weltraum“ (1968): Der darin verwendete Beginn aus Richard Strauss sinfonischer Dichtung „Also sprach Zarathustra“ machte aus dem Werk einen Plattenhit. Und das im Jahre 1968 – in Zeiten von Studentenrevolte und Hippiekultur! Kubrick ließ die Musik selbst sprechen, verknüpft mit neuartigen Bildassoziationen (unendliches Weltall, Evolution und Technik), darin ein Vorläufer des Videoclips.

Nicht über die „aufgepoppte“ Biographie des Komponisten, sondern durch neue Kontextualisierung des Werkes kann der Brückenbau zur Gegenwart gelingen. Aber solche Werk-Übersetzungen sind Glückstreffer, kommen höchst selten vor. Aus ihnen lassen sich keine pädagogischen Erfolgsregeln ableiten. Und wozu auch? Was soll überhaupt dieses organisierte „Nahebringen“ von Kulturgütern, egal ob Musik, Malerei oder Literatur? Wer die Musik Chopins, Beethovens, Wagners und anderer  zum (Über-)Leben braucht, der wird einen Weg dahin finden. Wer aber beispielweise ein Rilke-Gedicht auswendig rezitiert, ohne es existenziell zu „benötigen“, ohne sein Leben daraufhin zu ändern, kann es auch lassen. Er ist ein hohler Lastesel und seine „Bildung“ ein purer Betrug.

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