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Zehetmair tritt ab

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„Oft muß man nur am Altbewährten lange genug festhalten, um plötzlich wieder hochaktuell zu sein.“ Dieser Wahlspruch Hans Zehetmairs prangt auf der Startseite des Katholischen Männervereins Tuntenhausen.

Leider hat der Ehrenvorsitzende des Vereins diesen Spruch nicht beherzigt, als er sich mit der Frage der Rechtschreibreform befaßte, sei es als bayerischer Kultusminister (1986 bis 1998), Präsident der Kultusministerkonferenz und Vorsitzender des Rechtschreibrats (2004 bis 2010). Anfang dieser Woche gab Zehetmair seinen Rücktritt bekannt: „Sechs Jahre Opfer reichen“.

Wie bitte, Opfer?!? Zehetmair war nie das Opfer der Rechtschreibreform, eher muß man ihn zu den Tätern zählen. Das Opfer ist in Wirklichkeit die deutsche Sprachgemeinschaft, die seit 1996 unter der Rechtschreibreform und den Reformen der Reform leiden muß. Die Opfer, das sind vor allem die Schüler, die der verkorksten Neuregelung ausgesetzt wurden und werden.

Die Täter, das sind die Kultusminister, die diese Rechtschreibreform verordnet haben und nach den anhaltenden Widerständen 2004 nicht die Reform zurückgenommen haben, was das Einfachste gewesen wäre. Statt dessen setzten sie einen Rat für deutsche Rechtschreibung ein, der die Reform retten sollte; mit dem Ergebnis, daß wir heute unter einer Dauerreform und immer noch uneinheitlicher Rechtschreibung leiden: Aufgrund der Varianten geben die Wörterbücher Duden und Wahrig unterschiedliche Empfehlungen, und 2011 kommt die vierte Rechtschreibreform nach 1996, 2004 und 2006. 

Zehetmair hätte die Reform aufhalten können

Zehetmair hätte die Reform aufhalten können. Auf die Frage des Spiegels im September 1995, ob die Deutschen denn wüßten, was auf sie zukommt, antwortete er: „Nein, überhaupt nicht. Die breite Öffentlichkeit ist so gut wie gar nicht informiert. Deshalb werden viele erschrecken, wenn es nun zu einer Reform kommt, und zwar auch dann, wenn noch einiges geändert wird.

Viele haben gar nicht mehr an eine Reform geglaubt, nachdem seit fast hundert Jahren alle Vorschläge gescheitert sind. Man wird uns, die Kultusminister, fragen: Was habt ihr denn da angestellt? Es wird große Aufregung und viel Streit, sogar erbitterten Streit geben, und es würde mich nicht wundern, wenn er mit der Schärfe von Glaubenskämpfen ausgetragen würde.“

Obwohl Zehetmair also wußte, was auf die deutsche Sprachgemeinschaft zukam, und die Reform ablehnte, tat er nichts. Sogar von seinem eigenen Pressesprecher ließ er sich übertölpeln und bevormunden: „Ich wußte gar nicht, wie mir geschah, als ich in der Zeitung las, ich sei mit der Reform rundum zufrieden.“

Zehetmairs Kleinstwiderstand

Und dann leistete Zehetmair doch noch einen Kleinstwiderstand. Am 18. Oktober 1995 setzte er sich in einer Münchner Sitzung der Amtschefkommission der Kultusministerkonferenz durch und ließ sage und schreibe 35 Wörter aus der Liste streichen:

Karrosse, Karrosserie, Packet, Pott, Jackpott, Zigarrette, Zigarrillo, Restorant, Alfabet, Asfalt, Katastrofe, Apostrof, Strofe, Triumpf, Zellofan, Rabarber, Reuma, Rytmus, Eurytmie, Astma, Atlet, Biatlon, Triatlon, Teke, Apoteke, Artotek, Bibliotek, Diskotek, Hypotek, Kartotek, Videotek, Ortografie, Frefel, Fede, Tron. Das war der Beginn einer wunderbaren Freundschaft mit dem Hause Duden, das daraufhin eine ganze bereits fertiggedruckte Duden-Auflage einstampfen lassen mußte. Tausende Reformschreibungen blieben jedoch unangetastet.

Dabei kratzte Zehetmair nur geringfügig an der Oberfläche der Rechtschreibreform. Dennoch stilisierte er sich Jahre später (2003) in der FAZ zum Widerstandskämpfer: „Als ich – neu im Amt des bayerischen Kultusministers – mit den Vorschlägen für eine Reformierung der deutschen Rechtschreibung konfrontiert wurde, die eine Gruppe von Fachleuten im voraus ausgearbeitet hatte, war ich ob der Radikalität einiger Teile der Vorlage doch etwas schockiert.

In der Folge wurde Schlimmeres verhindert: Ich habe diese Reform erst einmal gebremst, was einigen Ärger machte, bis hin zur Drohung eines Verlages mit einer Schadenersatzforderung. Übrig blieb ein relativ moderates Reformwerk mit einsichtigen Verbesserungen – ich denke da beispielsweise an die ss-ß-Schreibung – und einigen Veränderungen, die sich nicht durchgesetzt haben.“

„Wir hätten die Rechtschreibreform nicht machen sollen.“

Ebenfalls im Jahr 2003 ging er noch weiter und bekannte gegenüber der Passauer Neuen Presse: „Aus heutiger Sicht und noch deutlicherer Kenntnis der deutschen Wesensart würde ich die Sache heute ganz zum Scheitern bringen. Wir hätten die Rechtschreibreform nicht machen sollen.“ Daß dies allerdings nur so dahingesagt war, bewies Zehetmair, als er ein zweites Mal die Gelegenheit bekam, „die Sache ganz zum Scheitern zu bringen“.

Nach „intensiven Bitten“ der Kultusminister wurde Zehetmair am 17. Dezember 2004 zum Vorsitzenden des Rechtschreibrats gewählt. Nachdem ein paar Monate zuvor die Medien von Axel Springer zur bewährten Rechtschreibung zurückgekehrt waren, hatte die Kultusministerkonferenz (KMK) den Rat ins Leben gerufen, um die Reform zu retten.

Als Ratsvorsitzender erwies er sich als loyal und zahnlos. Zu Beginn der Arbeit hatte er sich noch dagegen ausgesprochen, verschiedene Schreibvarianten zuzulassen. Das Ergebnis mit Tausenden Doppelschreibungen sah bekanntlich anders aus. Ebenso konnte er sich nicht gegen die von Duden und Wahrig gegen seinen Willen getroffenen Empfehlungen bei Alternativschreibweisen durchsetzen.

Zehetmair ließ sich vorführen

Auch als die KMK den Rat unter Druck setzte, die Arbeit früher zu beenden, gab Zehetmair nach. Als der Spiegel im Juni 2005 fragte, „Herr Zehetmair, die Kultusministerkonferenz hat diese Woche beschlossen, die reformierte Rechtschreibung zum 1. August in Schulen und Behörden einzuführen – auch solche Teile, die Ihr Rat noch gar nicht geprüft hat, wie etwa die Groß- und Kleinschreibung. Fühlen Sie sich bloßgestellt?“ antwortete Zehetmair lediglich windelweich: „Ich unterstelle der KMK nicht, daß sie uns düpieren wollte. Sie hat uns schließlich letztes Jahr beauftragt, die strittigen Regeln der Rechtschreibreform zu prüfen. Man muß den Kultusministern aber schon raten, besonders behutsam und zurückhaltend mit Fragen der Rechtschreibung umzugehen.“

Legendär sind hingegen Zehetmairs Weisheiten, in denen er seine Unkenntnis offenbarte; etwa als er meinte, „gang und gäbe“, „Restorant“ oder „Frisör“ seien reformierte Schreibweisen. Auch seine eigenwillige Auslegung der Rechtschreibregeln bleibt uns im Gedächtnis: „Groß schreibt man Dinge, die man anfassen kann.“ Alles in allem tritt Zehetmairs Nachfolger als Vorsitzender des Rechtschreibrates kein einfaches Erbe an. Es dürfte schwierig sein, diese Leistung zu unterbieten.

Nachtrag vom 26.07.2010: Zehetmair will offenbar doch Vorsitzender des Rechtschreibrats bleiben.

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