Kann mir mal jemand erklären, warum mich ein Stuttgarter Bahnhofs-Umbau interessieren sollte? Selbst wenn ich in Stuttgart wohnen würde, könnte ich mir bedeutend Spannenderes vorstellen. Trotzdem ist das seit Wochen eines der bestimmenden medialen Themen.
Eine gute Erklärung dafür bietet der gerade mit dem Nobelpreis ausgezeichnete spanisch-peruanische Schriftsteller Mario Vargas Llosa. Im Focus kritisierte er kürzlich die weltweite Aufmerksamkeit, die ein Pastor in den Amerika erhalten hatte, weil er mit der Verbrennung eines Korans drohte.
Schweigen „oder Gleichgültigkeit oder höchstens ein paar Zeilen in den Klatschspalten“ wären laut Llosa hier angemessen gewesen. Doch die Medien böten, was von ihnen erwartet werde: „Nachrichten, die das Gewöhnliche überbieten; die die Routine des Alltäglichen sprengen; die überraschen, schockieren, skandalisieren und – vor allem – unterhalten und amüsieren.“ Traurige Schlußfolgerung: „Heutzutage darf die Berichterstattung nicht ernst sein, und wenn sie darauf pocht, geht sie unter.“
Spießigkeit der Linken
Dieser Mechanismus kam nun auch im Fall von „Stuttgart 21“ zur Geltung.
Man hört und liest nun stets, daß die Aufmerksamkeit für das Thema darin begründet liege, daß nicht nur ein Bahnhof zur Debatte stehe. Es gehe um „die Arroganz der Macht“, so tönt es von den arroganten Mächtigen der Medien. In Wahrheit sind mit den Mächtigen nur die formal regierenden Parteien CDU und FDP in Baden-Württemberg gemeint, denen die arroganten und mächtigen linken Medien eins auswischen wollen.
Es waren zunächst eher taz und Junge Welt, weniger FAZ und Welt, die den Bahnhof zu einer weltbewegenden Angelegenheit machten. Nach dem Sommerloch kam dieses Jahr nämlich das Herbstloch, weil die Bundesregierung umsichtig darauf achtet, daß niemand an Arbeitsüberlastung zugrunde geht. Ein guter Zeitpunkt also für Debatten, die von Medien gemacht werden. Was läge da näher, als insbesondere auf einem eher konservativen Landesverband der CDU herumzuhacken?
Nicht, daß ich irgendwelche Sympathien für die CDU hätte, aber es ist klar, was hier wieder transportiert werden soll: Dort die Bürgerlichen, die abgehobenen und versnobten Besitzstandswahrer, hier die politisch wachen, rebellischen und aufmüpfigen Linken. Hatte die Sarrazin-Debatte noch gezeigt, daß die Spießigkeit längst links steht, so will man nun wieder die umgekehrte These durchsetzen. Merkwürdig nur, daß die Projektgegner auf so viel Unterstützung von etablierten Parteien zählen können.
Stuhlkreis bilden
Ach ja, dann auch noch der böse Polizeieinsatz! „Polizei-Gewalt bei Stuttgart 21“, lautete eine Überschrift bei Spiegel Online, bei anderen Medien klang es ähnlich. Als ob die Polizei einfach grundlos auf friedliche Omas einprügeln würde, nur weil ihr deren politische Auffassung nicht paßt. Hätten wir solche chinesischen Verhältnisse, würde das selbst mich DDR-light-Kritiker ein wenig entsetzen. Ich finde es jedoch positiv, daß die Polizei gezeigt hat, daß Schlagstöcke und Wasserwerfer nicht nur zur Dekoration da sind. Wozu gibt es eigentlich Steuern?
Die Polizei hätte natürlich auch mit den Randalierern einen Stuhlkreis bilden können, sich an die Hände fassen und über deren Probleme reden können. Aber das hätte ein Einknicken vor einem randalierenden Mob bedeutet. Unter diesem befinden sich auch zahlreiche Kommunisten, denen es nicht um den Bahnhof geht. Vielleicht sollten sich Medien und Projektgegner auch einmal über gewisse Leute innerhalb der „Bürgerbewegung“ erregen, die einer Ideologie anhängen, deren Staaten bislang sehr wenig von „Bürgerrechten“ und „Demokratie“ hielten? Denn dort herrschte tatsächlich eine enorme „Arroganz der Macht“!
In beiden Fällen des inszenierten Medientheaters – bei dem radikalen Pastor in Amerika und bei „Stuttgart 21“ – bauen die Medien altbekannte Feindbilder auf (hier „Islamophobie“, dort CDU/FDP), die eindeutig eher rechts von der Mitte verortet werden. Nur darum geht es. Ohne die mediale Aufmerksamkeit wäre es niemals zu solchen Demonstrationsmassen gegen „S21“ gekommen, die auch im Vergleich zu den Demonstranten der Projekt-Befürworter überproportional hoch im Verhältnis zu den Ergebnissen von Meinungsumfragen sind.
Die CDU begreift nicht, daß für die Durchsetzung ihres eigenen Weltbilds, sofern noch vorhanden, die gegenüber den Linken besseren Argumente gar nichts nützen, sondern daß ganz anderes maßgeblich ist. Die Rede ist von Medienmacht, Kontrolle über Lehrpläne und Lehrpersonal in Schulen, politische Hegemonie an den Universitäten, starke Demonstrationskultur, lobbyistische Unterstützung.