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Stadtplanung: vorwärts

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Müssen sich die rückbauenden Stadtplaner mit der Frage herumschlagen, was genau rekonstruiert werden soll – und vor allem: warum –, so ist für die Modernisierer wenigstens die Richtung klar: Nach vorne zu schauen, heißt meistens, nach oben zu bauen; insbesondere bei Prestigeprojekten wie dem Empire State Building von 1931, dessen 449 Meter Höhe erst 1972 vom World Trade Center und schließlich 1974 vom Sears Tower in Chicago (527 Meter) übertroffen wurden.

Neuerdings sind es natürlich die Araber, die sich den größten Babelturm gegönnt haben: den Anfang des Jahres fertiggestellten 828 Meter hohen Chalifa-Turm in Dubai, wo ohne westlichen Ölbedarf nur Beduinenzelte, kleine Natursteinhäuser und die traditionellen Badgire oder „Windtürme“ stünden.

Neben dem Wettbewerb der Nationen und Kulturen um das größte architektonische Potenz- und Fortschrittssymbol geht es vor allem um das Problem des Bevölkerungswachstums. In den sechziger Jahren prognostizierte der Futurologe Robert Jungk für die nahe Zukunft Riesenstädte in Indien mit 700 Millionen Einwohnern – die Debatten um den Klimawandel hat der Bestsellerautor nicht mehr erlebt, sonst hätte er wahrscheinlich ein baldiges Verdampfen der Erdoberfläche vorhergesagt.

„Brave New World“

Zur selben Zeit forderte Paul Delouvrier, der französische Regierungsbeauftragte für den Umbau von Paris zu einer modernen Metropole, in seiner „Vision“ für das Jahr 1975 den Bau von 500 Wolkenkratzern von jeweils 150 Metern Höhe, die sich um einen historischen Kern gruppieren sollten. In der Tat schwoll die damals von 8,5 Millionen Menschen bewohnte Stadt jedes Jahr um 200.000 Einwohner an, und die Infrastruktur der am französischen Zentralismus mit seiner Konzentration auf die Hauptstadt laborierenden Metropole stammte größtenteils aus dem 18. und 19. Jahrhundert.

Anstatt aber über eine Drosselung der Einwohnerzahl, eine dezentrale Siedlungspolitik und über eine Beschränkung des Autoverkehrs nachzudenken, setzte man im Sinne materialistischer Massen- und Fortschrittsideologie auf Wachstum in Höhe und Breite, beziehungsweise auf Abriß und Neubau. Schon in den zwanziger Jahren hätte Le Corbusier ganz Paris bis auf ein paar museale Relikte am liebsten abgerissen und in fünfzigstöckigen Hochhäusern schön säuberlich im Stil sozialistischer Arbeitslager einer „Brave New World“ nach funktionalen Bereichen geordnet wieder aufgebaut.

Sein Plan wurde zum Glück ebensowenig verwirklicht wie derjenige von Yona Friedmann, dessen „Paris Spatial“ auf ungeheuren Pfeilern über dem alten Paris schweben sollte. Auch in diesem architekturbolschewistischen Entwurf herrschte Ordnung: Das neue Paris wäre aus lauter gleichgroßen „Wohnwaben“ zusammengesetzt gewesen. Der israelische Architektur-„Visionär“ hielt es, wie der Spiegel 1963 in einem Bericht über die Pariser Stadtplanung schrieb, „grundsätzlich für denkbar“, alle Franzosen in 15 Drei-Millionen-Städten, sämtliche Europäer in 150, ganz China in 240 und die gesamte Weltbevölkerung in genau 1.000 pfeilergestützten „Raumstädten“ unterzubringen.

Katastrophenhysterie der Gegenwart

Ein Prinzip dieser Utopie ist klar erkennbar: Wenn man sich in der Breite nicht mehr ausdehnen kann, baut man in die Höhe; und wenn die gesamte Erdoberfläche unbewohnbar gemacht wurde, legt man einfach eine Ebene darüber (und macht auf dieser genauso weiter).

Eine andere Möglichkeit, sich von der Erde möglichst zu entfernen, ist – von ebenfalls immer wieder angedachten Meeres- oder Weltraumstädten abgesehen – die „Kapselstadt“: etwa der 1960 zu Energiesparzwecken entworfene „Dome over Manhatten“ des amerikanischen Architekten Buckminster Fuller oder die käferartige „Walking City“ des Briten Ron Herron von 1964.

Die Angst vor der Klimakatastrophe hat solche Ideen, freilich in verspielter Form, wieder aufleben lassen: Eine aktuelle Ausstellung des Hamburger Museums für Kunst und Gewerbe präsentiert „Klimakapseln“, die allerdings nicht von Architekten, sondern von Künstlern entworfen wurden. Der spielerische Charakter dieser Modelle zeigt sich am deutlichsten darin, daß das Museum während der Sommerferien eine „Zukunftswerkstatt“ anbot, in der Kinder und Jugendliche ab zehn Jahren „Klimakapseln entwerfen und bauen“ konnten. Die Planungsutopien der klassischen Moderne und die Katastrophenhysterie der Gegenwart (womöglich eine morbide Sehnsucht des westlichen Menschen) verbinden sich plötzlich zu einer kindlichen Beschäftigung.

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