John Locke (1632 – 1707), dem sowohl die moderne Erkenntnistheorie wie das bürgerliche Staatsdenken so grundlegende Schriften wie „An Essay concerning Humane Understanding“ und „The Second Treatise of Civil Government“ (beide 1690) verdanken, analysiert in einem kleinen Essay die Schwierigkeiten der menschlichen Urteilskraft.
Dies zu lesen ist amüsant, weil Locke, Zeitgenosse der Turbulenzen des 17. Jahrhunderts, klassische Schwierigkeiten in der Politik diagnostiziert, die sich in vier Jahrhunderten nicht einen Deut verändert haben.
„Außer dem Mangel an klar umrissenen Begriffen sowie an Scharfsinn und Erfahrung bei dem Bemühen, begriffliche Zwischenstufen zu finden“, hält er drei Fehler für besonders fatal: Den ersten macht er bei Menschen aus, „die ihren eigenen Verstand überhaupt nur selten gebrauchen und ihr Tun und Denken lieber nach dem Vorbild anderer ausrichten“, den zweiten bei jenen, „die an Stelle der Vernunft ihre Gefühle setzen“ und dabei Worte verwenden, „hinter denen keine klaren Begriffe stehen“, den dritten erkennt er bei Diskutanten, denen „ein Sinn für größere Zusammenhänge fehlt“.
Ungenauigkeit in Begriff und Aussage ist stets der Versuch auszuweichen
Damit ist hinlänglich beschrieben, wo die Probleme im politischen Denken und Handeln liegen. Es ist damals wie heute ein veritabler Akt couragierter Aufklärung, auf die Präzision der in Verwendung stehenden Begriffe zu achten und Genauigkeit beziehungsweise semantische Schlüssigkeit im Gebrauch einzufordern. Verquastes politisches Gedöns, das sich auf „Sprachreglungen“ und vermeintliche „Korrektheit“ zurückzuziehen versucht und sich so aus der Verantwortung stiehlt, zur Klarheit zu zwingen, das ist genau der Widerstand, der dem Diskurs nützt und ihn schärft.
Ungenauigkeit in Begriff und Aussage ist stets der Versuch auszuweichen, um sich so nicht in die Pflicht nehmen zu lassen. Man achte bei allen „Statements“ darauf! Vielleicht kann gelten: Ich werde deine Redlichkeit und deine Kompetenz an der Klarheit deiner Aussagen messen. Und Ziel meines Dialogs mit dir wird es sein, dich zu dieser Klarheit zu zwingen.
Ludwig Wittgenstein formuliert in seinen „Philosophischen Untersuchungen“: „Die Philosophie ist ein Kampf gegen die Verhexung unseres Verstandes durch die Mittel unserer Sprache.“ Die Grundaussage ist eine linguistische, aber das Wort Kampf in diesem kernigen Satz darf man getrost politisch auffassen. Wenn – wiederum mit Wittgenstein – „die Bedeutung eines Wortes sein Gebrauch in der Sprache ist“, so steht beispielsweise der Begriff „Integration“ für sich genommen ebenso unklar da wie der Begriff „Bildung“.
Aufklärung will sprachlichen Nebel lichten
Mit beiden ist zunächst nichts Verifizierbares ausgedrückt; sie kommen nur mit einem gewissen Charme daher, weil sie positiv konnotiert sind. Erst wenn solche Begriffe sprachlich in Zusammenhängen gebraucht werden, beginnt die Auseinandersetzung um deren Inhalt und Funktion und damit die Bestimmung intendierter Zwecke, die sich oft genug verbergen.
Anliegen der Aufklärung war es stets, die Politik dort zu stellen, wo sie sprachlichen Nebel um ihr Denken verbreitet, ja sogar herauszufinden, ob hinter dem Dunst der Sprachkonstrukte überhaupt etwas steckt oder ob die Phrasen nur einen nackten Kaiser zu bestricken und zu verhüllen suchen. Mit analytischer Philosophie ist man dabei ebenso gut beraten wie mit dem gesunden Menschenverstand.