„Das Wünschenswerteste bleibt unter allen Umständen eine harte Disziplin zur rechten Zeit, d. h. in jenem Alter noch, wo es stolz macht, viel von sich verlangt zu sehn. Denn dies unterscheidet die harte Schule als gute Schule von jener anderen: dass viel verlangt wird; dass streng verlangt wird; dass das Gute, das Ausgezeichnete selbst, als normal verlangt wird; dass das Lob selten ist; dass die Indulgenz fehlt. – Eine solche Schule hat man in jedem Betracht nötig: das gilt vom Leiblichste wie vom Geistigsten: es wäre verhängnisvoll, hier trennen zu wollen.“ (Friedrich Nietzsche, Schriften aus dem Nachlass)
Es mag bei allem Vorbehalt der Pädagogik der Siebziger und Achtziger gegenüber ein gewisser Verdienst darin liegen, daß die Schule mittlerweile eher Schule als „Anstalt“ ist. Mit dieser Ehrenrettung aber hat es sich dann. Denn daß, abgesehen von süddeutschen Refugien, in bald vierzig Jahren Bundesrepublik der fatale Anschein erweckt wurde, Bildung habe weniger mit Inhalt und Anspruch als mit Methode und bloßem Meinen und Machen zu tun, dieser Fehler im Ansatz scheint kulturell kaum revidierbar.
Offenbar besteht derzeit ein offizieller Konsens darin, all und jeder habe einen Anspruch auf Bildung in der Weise, daß sie dienstleistend zu ihm komme oder gebracht werde. Es gehört zu den stets auf Beifall hoffenden Stereotypen in Kultusminister- und Lehrerkonferenzen, man müsse jeden dort abholen, wo er steht, man müsse ihm Erfolge und Abschlüsse ermöglichen, und zwar vorzugsweise das Abitur, vorzugsweise nahezu allen, vorzugsweise per Dekret.
Aufwand, Leistung, Selbstüberwindung
Das ist doch aber im Zuge eines zunächst bürgerlich-liberalen und später sozialdemokratischen Emanzipationsprozesses längst gesichert, gestattet, gelungen: Jeder Schüler hat Zugang zu allen Bildungsarten, und zwar entgeltfrei! Ein Luxus, der wie alles, was zur Gewohnheit wird, vergessen macht, was für eine Errungenschaft darin eigentlich liegt!
Sowohl die liberale als auch die Arbeiterbewegung, beide hervorgegangen aus der europäischen Aufklärung, begannen ihre Geschichte mit dem Anspruch, nur die Bildung könne für Selbstverwirklichung sorgen und Gerechtigkeit herstellen – für jene, die – mit Kant – den Mut haben, sich des eigenen Verstandes zu bedienen.
Das jedoch erfordert Aufwand und Leistung, Selbstüberwindung und hohe Bereitschaft, die Idee vom eigenen Selbst und die Kraft, noch aus Misserfolgen die Motivation fürs couragierte Weiterarbeiten zu beziehen. Oder positiver: Das bedarf mindestens der Fähigkeit des Staunens, der Neugier, der Wachheit.
Die Arbeiterbildungsvereine, aus denen die frühe Sozialdemokratie hervorging, betrieben Leihbibliotheken und veranstalteten elementaren und weiterführenden Unterricht mit dem Ziel, endlich teilhaben zu können an dem, was sich nur den Eliten öffnete: Bildung als Voraussetzung für Sprache, Rede und Schrift, Kultur als Institution des Geistigen und Ästhetischen, also dessen, was über die Reproduktion der eigenen Existenz hinausweist. Das Eintrittsbillet dafür erwarben sich die Mitglieder nach langen Arbeitstagen und am Wochenende. Freiwillig! Selbstmotiviert! Und sie gewannen dabei Stolz und Selbstvertrauen.
Der Engagierte hat mehr Chancen denn je
Wenn Migranten und sozial Benachteiligte heute ihre Bildungsrechte, die ihnen vollständig gesichert sind, wahrnehmen wollen, müssen sie nicht kämpfen, sondern nur aus sich heraus die Bereitschaft entwickeln, eine kulturelle Mehrleistung in dem Sinne zu erbringen, daß sie sich mit Leidenschaft entschließen, eine deutsche Schule zu absolvieren. Dort liegt mittlerweile jeder weit über dem Durchschnitt, der noch über den Impetus verfügt, sich selbst Maßstäbe zu setzen.
Die Illusion, Bildung erwerbe sich von selbst, wenn nur die Möglichkeiten dazu geschaffen sind, gehört zu den dümmsten der jüngeren Schulgeschichte. Wer nichts will, wird auch nichts und bleibt dann seinem Milieu treu und ist darin sogar versorgt. Der Engagierte jedoch hat mehr Chancen denn je!
Ein mäßiger Schüler fragte mich kürzlich konsterniert, weshalb ich ihn mündlich nur mit einer Zwei bewerte, er hätte doch was gesagt. Und ich stutzte daraufhin, weil mein Urteil schon an der Obergrenze des noch Vertretbaren lag. Der Vorgang ist symptomatisch. Die geltenden Lehrmeinungen sehen in mir als Lehrer den Dienstleistenden und die Bringeschuld, viel weniger im Schüler. Mancher Lehrer geht mit größerem Lampenfieber ins Abitur als sein relaxter Abiturient. Bildung jedoch ist die erste Leistung im Leben. Selbst erbrachte Lebensleistung! Sie kann nicht ausgeteilt werden wie das Schulessen.