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„Liberale Scheißer“…

„Liberale Scheißer“…

„Liberale Scheißer“…

 

„Liberale Scheißer“…

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…gibt es, wenig überraschend, auch bei der Zeit. Meint jedenfalls Thilo Sarrazin, der sich mit einem jener ewig unentschlossenen linksbourgeoisen Herumeierer volle anderthalb Stunden über das Thema „Tabus in Deutschland“ unterhalten hat, und die Definition liefert der Bundesbanker auch gleich mit: Der Kraftausdruck bezeichne Leute, „die gut im Speck stehen und von der Warte moralischer Überlegenheit heraus die Welt beurteilen“.

Und dank eben dieser Leute neige die Presse zum Tabu-Reflex, auch die Zeit, schlägt Sarrazin seinem Gesprächspartner von derselben um die Ohren. Der muß widerwillig, unter vielen Windungen, Ja-Abers und rhetorischen Fragen, immerhin zugeben, daß es in Deutschland eben doch politisch korrekte Denk- und Sprechverbote gibt.

Schließlich kennt er nicht nur überzeugte PC-Puritaner, die sich gerne zu ihrer Tabuwächterrolle bekennen wie die Gewerkschafterin Annelie Buntenbach, er trifft, wie jeder Journalist, auch immer wieder Politiker und Gesellschaftsgrößen, die bei ausgeschaltetem Mikrofon sagen, was sie wirklich denken – „aber schreiben Sie das bitte nicht“.

Bemerkenswerter Erkenntnisfortschritt

Ein bemerkenswerter Erkenntnisfortschritt, den das Gespräch mit dem „Django des Tabubruchs“ Thilo Sarrazin beim taz-Zögling und stellvertretenden Zeit-Politikchef Patrik Schwarz da bewirkt hat. Noch auf dem Scheitelpunkt der Sarrazin-Debatte hatte sein Kollege Jörg Lau, entsetzt über die Flut zustimmender Leserbriefe, die selbst in seinem linksliberalen Tantenblatt dem Berliner Ex-Finanzsenator recht gaben, rundweg geleugnet, daß es beim Reden über Migration und Integration überhaupt noch Tabus gebe.

Auch Schwarz hielte es ja lieber mit der Rabulistik eines Michel Friedman, der in ebendieses Horn stößt und das Phänomen der „Prätabuisierung“ ausgemacht zu haben glaubt: Wer sich profilieren wolle, erfinde zuerst ein Tabu, um dann mit Lust dagegen zu verstoßen. „Du kannst in Deutschland alles sagen, was du willst – du mußt nur bereit sein, die Konsequenzen zu tragen“, behauptet Friedman.

Daß das keine Widerlegung der Existenz von Tabus ist, sondern vielmehr deren Bestätigung, dämmert indes nicht nur dem Interviewer, sondern auch den Kommentatoren aus der Leserschaft: Gerade die Sanktionierung macht ja das Tabu erst zum Tabu. Wenn die „Konsequenzen“ dann bis zu öffentlicher Herabwürdigung, Berufsverbot und versuchter Vernichtung der gesellschaftlichen Reputation reichen, wird dieser Zusammenhang geradezu lehrbuchmäßig bestätigt.

Sowohl-Als-Auch als Auffangstellung

Keine Ausreden also: „Das Tabu fängt vor der Antwort an – es klammert schon die Frage aus“ – wieder Sarrazin. Resigniert wählt die Zeit als Auffangstellung das liberale Sowohl-Als-Auch und bescheinigt beiden ihre Existenzberechtigung: „Provokateure und Gesinnungspolizisten“ kämen im deutschen Meinungsklima nun mal nicht ohne einander aus.

Wer erfolgreich provozieren und damit etwas bewirken will, muß sich dabei nicht gleich an Luther messen und sein Kopftuchmädchen-Interview mit dem Wittenberger Thesenanschlag vergleichen wie Thilo Sarrazin. Aber man sollte auf dessen Ratschläge hören – er weiß schließlich, wie man Tabuwächter gekonnt auflaufen läßt:

„Meine politische Erfahrung ist: Wenn ich bei einem Thema etwas bewegen will, muß ich zuerst die Fakten in einer so klaren und eindeutigen Weise benennen, daß niemand an ihnen vorbeikommt – und ich darf bloß keine Lösungen vorschlagen.“ Die stehen nämlich am Ende des Diskurses, nicht am Anfang.

Auch deswegen spielt ein Amateur-Provokateur wie Guido Westerwelle für Sarrazin nicht in derselben Liga: „Ich wollte eine Diskussion über Mängel im Sozialsystem anstoßen, was mir gelungen ist. Westerwelle wollte seine Partei in den Umfragen hochbringen, was ihm nicht gelungen ist.“ Und warum?

„Wenn man Tabus bricht, muß man das mit chirurgischer Präzision tun: Pullover [statt Staatszuschüssen bei hohen Heizkosten], sonst nichts, Kopftuchmädchen, sonst nichts. Es darf ruhig spontan sein, wenn es durchdacht ist, aber dann hält man den Rand.“ Denn: „Ich kann mir das vielleicht ein- bis zweimal im Jahr leisten, ich will ja nicht zum Hofnarren werden.“

Mal sehen, wo er als nächstes zuschlägt.

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