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Leitkultur Euphemismus

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Cato, Palmer, Exklusiv

Die Wirtschaftsprüfer von Pricewaterhouse-Coopers rechneten für die deutschen Banken aus, daß Kredite in Höhe von 213 Milliarden Euro ausfallgefährdet sind, satte 50 Prozent mehr als noch ein Jahr zuvor, als alles schon schlimm genug war.

Das hängt mit Firmenpleiten und ausfallenden Konsumentenkrediten zusammen. Aber was noch vor Monaten für Schlagzeilen gesorgt hätte, interessiert heute niemanden mehr so richtig, weil sich alle Welt zum einen an dreistellige Milliardenbeträge gewöhnt hat und weil zum anderen die Banken selbst müde abwinken und vermelden, sie hätten sich doch längst wie gefordert mit mehr Eigenkapital unterlegt.

Vor allem aber ist der artig bedächtige Bürger wie stets damit beruhigt, daß alles schon irgendwie verschoben wird, so daß es die Gemütlichkeit nicht stört – bloß weg, in die Zukunft, in ideelle Rechnerei oder sonst wohin…

Trügerischer Gedankenluxus

Der Golf von Mexiko wird zu einer apokalyptischen Metapher des neuen Zeitgeistes: Er verdreckt zwar jeden Tag mehr durch Millionen Gallonen Öl und stirbt vor sich hin, aber das ändert doch das Leben nicht; und tanken kann man wie eh und je.

Vielleicht hätte man, so zynisch es klingen mag, auf das kreative Potential der Finanzkrise hoffen dürfen, wenn das Problem nicht verschoben worden, sondern aufgebrochen wäre. Durchschlagende Bestandsverluste, Einbrüche von Altersversorgungen und der Systemausfall sozialer Sicherungen hätten mindestens im losbrechenden Diskurs – oder Aufruhr – für die Klarheit gesorgt, die der  Euphemismus als Leitkultur in politischer Rede und im politischen Geschäft vermeidet.

Indem aber die Lasten der Krise ebenso wie die Änderung ihres Ursachengefüges ins Blaue hinein verschoben werden, darf man sich den trügerischen Gedankenluxus leisten, es ginge alles weiterhin schon irgendwie glatt. Und wenn erforderlich, dann ließe sich ja ebenso über die lästige Schuldenbremse noch mal nachdenken.

Kultusministeriell vereinbarte „Kompetenzen“

Unsere Politik handelt wie ein Arzt, der einem kranken Mann sagt: „Wird schon! Feiern Sie mal noch ordentlich weiter, aber dann sollten wir irgendwann mal eine Diät und einen kleinen Lebenswandel andenken.“ Andenken – auch so ein symptomatisches Wort der Verschiebe-Kultur!

In der DDR machte ein Stammtischspruch die Runde: Privat geht vor Katastrophe! – Gewissermaßen war das der Anfang vom Ende, das Bewußtsein, es dürfe bloß nicht ans eigene Eingemachte gehen, der Rest sei egal. Soll der Staat doch sehen.

Nicht nur die faulen Kredite liegen außerhalb des landläufigen Bewußtseins im Keller. Ebenso nimmt die Politik beispielsweise hin, daß zahlreiche Abiturienten zwar kultusministeriell vereinbarte „Kompetenzen“ erwerben, aber nicht mehr akademisch relevant lesen und schreiben können, daß ein Viertel der Schüler trotz reduzierter Prüfungsmaßstäbe gar keinen Abschluß mehr erreicht und daß ein ebensolcher Prozentsatz der mit inflationärer Benotung durchgereichten Abiturienten das Studium abbricht.

Von Lebenslügen umsponnen

Die Politik möchte darüber reden, sie redet ja andauernd über Bildung, aber in der schon verfestigten Gewohnheit, bloß Begriffe zu generieren. Die vermitteln dann den trügerischen Anschein, mit dem Begriff selbst wäre schon eine Problemlösung erfolgt. So läßt es sich weder denken noch sprechen, höchstens verquast schwatzen!

Kann man den Furor um den ehemaligen Bürgerrechtler Joachim Gauck auch so verstehen, daß sich eine kritische Mehrheit die Rückkehr des Citoyens in die Politik wünscht, der einem neuen Stil auf die Beine hilft, der, mit Schopenhauer ausgedrückt, den Mut besitzt, keine Frage auf dem Herzen zu behalten?

Mindestens intuitiv wird den Leute klar: Wir brauchen wieder eine klare Syntax und tragfähige Begriffe, selbst dann, wenn es weh tun sollte. Wir können nichts mehr vertagen, ansonsten sind wir von Lebenslügen umsponnen, die nur denen helfen, die davon leben. Und das ist längst nicht die Mehrheit.

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