Früher war manches einfacher: Wenn man eine Schallplatte kaufen wollte, ging man in einen Plattenladen. Es gab Singles und Langspielplatten, und das Aufkommen der Maxisingle, die eine längere Spielzeit und bessere Klangqualität bot, hat den Markt nicht wesentlich verändert. Manch einer führte sich auf dem Schulhof wie ein König auf, weil er die neueste Maxi von Modern Talking im Ranzen hatte, aber natürlich will dergleichen später keiner gehört haben.
Dann kam die CD, das in den Schulferien verdiente Geld floß in teuere Anlagen, und Könige wurden zu Kaisern. Die Musikstile folgten aufeinander; was früher nur Jugendliche hörten, wurde zum geschmacklichen Mainstream, und die Verpoppung des öffentlichen Raumes nahm immer mehr zu.
Das Internet revolutionierte vor einem Jahrzehnt auch die Musikindustrie. Zwar tanzen und hopsen Popsängerinnen auch heute noch und wippen oder wackeln mit den dazu geeigneten Körperteilen, aber, von solchen anthropologischen Konstanten abgesehen, haben sich die Vermarktungsmethoden vollkommen geändert.
Popsong als Klingelton
Eine wesentliche Neuerung gegenüber der Popsteinzeit ist natürlich der Download aus dem Internet, den die Musikindustrie, trotz der "interaktiven" Vertriebswege, die er bietet, ständig bejammert, weil er so gerne illegal betrieben und doch im öffentlichen Bewußtsein anders bewertet wird als seinerzeit ein Diebstahl im Plattenladen; zum Ausgleich gibt es aber den Popsong als Klingelton, den man sich, auch im Abonnement, auf sein Handy schicken lassen kann, worauf sich ein dubioser Industriezweig spezialisiert hat. Harald Harzheim wies mich kürzlich auf die ungeheuren Gewinne hin, die mit diesem Gepiepse erzielt werden.
Das überall zum Ausdruck kommende interaktive Prinzip hat auch dazu beigetragen, daß man heute unter "Superstars" etwas ganz anderes versteht als früher, nämlich Jugendliche, die ins Fernsehen geholt und nach Marketing-Gesichtspunkten unter Mitwirkung des Publikums zu Bands zusammengecastet werden.
War der Star einst ein Halbgott, bei dessen Auftritt junge Mädchen Kreischkrämpfe erlitten und in Ohnmacht fielen, so besteht sein Star-Appeal heute darin, jedermann zu sein und dadurch jedermann die Möglichkeit zur Selbstbespiegelung zu bieten. "Wenn ich ein Star bin", singt der Superstar eigentlich, während er die Hüften schwingt, "dann kannst du auch einer sein", und der Rausch folgt nicht daraus, daß sich der Halbgott zu einem herunterbeugt, sondern daraus, daß man sich selbst als Halbgott imaginiert.
Produktion im heimischen Tonstudio
Der traditionelle Heros der Popkultur wird allerdings von zwei Seiten aus "dekonstruiert" – wie eine Skulptur, der Tauben das Haupt verunzieren, während unten jemand an ihrem Sockel rüttelt: Von oben relativieren die Massenmedien den von ihnen selbst inszenierten Starkult, indem sie austauschbare Nobodies als zeitweilige Konkurrenz aufbauen, und unten arbeiten sich die Wühlmäuse zahlloser Independent-Labels an der Star-Elite ab.
Zwar liegt ihr Marktanteil derzeit nur bei 28,3 Prozent gegenüber den 71,7 Prozent der Big Four der Musikindustrie, aber die technischen und medialen Möglichkeiten – günstige Produktion im heimischen Tonstudio, Selbstvermarktung im Internet usw. – verschaffen aufstrebenden Bands, die ständig neu geknüpften Knotenpunkten innerhalb ihres Szene-Netzwerks gleichen, bessere Voraussetzungen als ihren Urahnen, die in Garagen probten und darauf hofften, "entdeckt" zu werden.
Und dann gibt es immer noch den Vertriebsweg, der zu Fuß begangen wird: Jedesmal, wenn ich mit Harald Harzheim in einem Café in Friedrichshain sitze, tritt irgendwann ein meist übergewichtiger junger Mann im Hip-Hop-Outfit an unseren Tisch und beginnt, eine Rede zu halten. Dabei zeigt er uns seine handsignierten CDs, die eines Tages richtig wertvoll werden, wenn er erst "groß rausgekommen" ist, so daß wir durch den Erwerb etwas für unsere Altersvorsorge tun.
Eigentlich bräuchten wir an diese noch gar nicht zu denken, wenn er uns für so jung hält, daß er mit solcher Selbstverständlichkeit davon ausgeht, wir hätten seinen Musikgeschmack, aber ich kaufe Baron oder Fayez Faylasuf doch immer eine Scheibe ab. Es ist allemal unterstützenswert, wenn jemand sich irgendwie auf die Socken macht; Hip Hop hört meine Frau gerne beim Trampolinspringen, und – ach ja – von dem, was Fayez über den 11. September und dessen Urheber von sich gibt, distanziere ich mich ausdrücklich, falls ich nicht auf dem Laufenden sein sollte, wer gerade die Guten und wer die Bösen sind …