Wer an dieser Stelle die Besprechung eines neuen Ego-Shooter-Spiels erwartet, liegt leider daneben. Aber was nicht ist, kann ja noch werden. PC-Spiele-Designern sollte die berüchtigte mexikanische Millionenstadt, die mittlerweile als gefährlichste Stadt der Welt gilt, doch Inspiration genug sein.
Das Überleben in Ciudad, wo es Mitte März an einem einzigen Wochenende rund 50 Morde gab, dürfte selbst für routinierte Ego-Shooter eine Herausforderung darstellen. Rund 530 Morde, die im Zusammenhang mit dem Drogenkrieg stehen, wurden seit Jahresbeginn in Ciudad Juárez registriert, das über vier Brücken direkt mit der texanischen Metropole El Paso verbunden ist.
Da können selbst – sieht man einmal von der besonderen Situation in Bagdad ab – heiße Pflaster wie das venezolanische Caracas oder das südafrikanische Kapstadt nicht mehr mithalten. Hugh O’Shaughnessy kommentierte die steigende Spirale der Gewalt im britischen Independent denn auch wie folgt: „Die US-amerikanisch-mexikanische Grenze – wo der Drogenkrieg den Boden blutrot durchweicht hat.“
Quittungen für das US-Engagement
Zuletzt waren sogar US-amerikanische Konsulatsangstellte Ziel von äußerst präzise ausgeführten Mordanschlägen, bei denen es drei Tote gab, darunter eine Frau, die im siebten Monat schwanger war. Die Art und Weise dieser Morde kam einer Hinrichtung gleich. Möglicherweise waren sie eine Quittung für das Engagement der USA im mexikanischen Drogenkrieg, das der Kongreß 2008 genehmigte (sogenannte Mérida-Initiative) und Mexiko damit einen Geldsegen von 1,7 Milliarden US-Dollar bescherte.
Dieses Engagement hat zu einer dramatischen Intensivierung der Schlacht zwischen Staat und Drogenkartellen geführt. Ungefähr 40.000 Armeeangehörige und 5000 Polizisten sind gegen schätzungsweise 300.000 Angehörige der mexikanischen Drogenkartelle und ihrer paramilitärischen Einheiten im Einsatz. Und die Mitglieder dieser Drogenkartelle operieren mit Waffen, die jedem Ego-Shooter-Spiel Ehre machen: hochmoderne Schußwaffen bis hin zu Granatwerfern und Handgranaten.
Ein Großteil der militärischen Operationen wird derzeit in denjenigen nördlichen Bundesstaaten (Baja California, Sonora, Chihuahua, Coahuila und Tamaulipas) durchgeführt, die an der Grenze zu den USA liegen.
Die Hitze fühlen
Ciudad Juárez ist deshalb so hart umkämpft, weil es in Mexiko einer der lukrativsten Orte für den Drogenschmuggel ist. Hier verlaufen die wirtschaftlich interessantesten Schmuggelrouten in die USA, was zu einem besonders intensiven Krieg der Drogenkartelle führt. Es geht nämlich um viel Geld; von Milliardensummen ist die Rede.
Die epidemische Ausbreitung von Drogenkartellen und Verbrecher-Gangs kann allerdings auch als Folge der wirtschaftlichen Lage gedeutet werden, in der sich Ciudad Juárez befindet, das pars pro toto für andere Städte Mexikos steht. Seit September 2008 gingen allein in den Fabriken an der mexikanisch-amerikanischen Grenze mindestens 100.000 Arbeitsplätze verloren, vor allem durch die Konkurrenz aus Asien (sprich: China).
Linke Kritiker wie der Publizist Mike Whitney sehen deshalb in der Militarisierung des Drogenkrieges den falschen Weg und mutmaßen, daß die ausländische (= US-)Hilfe vor allem dazu diene, um polizeistaatliche Repressionen durchzusetzen. Der sogenannte „Krieg gegen die Drogen“ sei wie der „Krieg gegen den Terror“ nur eine „Maske der Öffentlichkeitsarbeit, um die „eigentliche politische Agenda zu verbergen“. Eine Kritik, die nicht ganz von der Hand zu weisen ist: Durch den Einsatz von Soldaten und Bundespolizisten schnellt die Zahl der Todesopfer nur noch weiter nach oben.
Man kann aber auch das noch als „Erfolg“ deuten, wie die US-Wissenschaftlerin Laura Carlsen in einem Interview durchblicken ließ: „Washington sieht durchaus ernste Probleme im Krieg gegen die Drogen, behauptet aber absurderweise ständig weiter, daß das Ansteigen der Gewalt in Mexiko ein gutes Zeichen sei – es bedeute nämlich, daß die Drogenkartelle die Hitze spürten …“ Gibt es in der US-Regierung womöglich ein paar „Dirty Harrys“, die – hier der Logik eines virtuellen Ego-Shooter folgend – eine steigende Zahl von Leichen als Ausweis einer besonders effektiven Strategie betrachtet?