In New York gehört ihnen schon ein Stadtteil, das Internet haben sie durch unzählige Blogseiten besetzt und jetzt werden sie auch von etablierten Zeitungen – der Welt oder der Süddeutschen – entdeckt: Die „Foodies“.
Der Name leitet sich von „Food“ (Essen) ab und meint eine global vernetzte Bewegung, die Nahrungsmittel zum Mittelpunkt ihres Lebens erklärt. Dazu gehört der Kauf exklusiver Zutaten, der Austausch von Rezepten, das Kochen und in eingeschränktem Maße auch das Verspeisen.
Nein, Foodies sind keine wollüstigen Fresser wie die Riesen aus François Rabelias Roman „Gargantua und Pantagruel“ (1532), sie propagieren keinen Hedonismus à la „Erst kommt das Fressen und dann kommt die Moral“, diese Yuppie-Variante achtet auf Gesundheit und schlanke Linie, im Einklang mit zeitgenössischer Wellness-Kultur.
Die „besten Rezepte zwischen Himmel und Erde“
Motto: Ständig ans Essen denken, möglichst alle Speisen kennenlernen, aber aussehen wie ein Magersucht-Model. Als Gegenbewegung zum „Junkfood“ (Schnellessen) zelebrieren Foodies den Gang ins teure Restaurant, fotografieren die gefüllten Teller, stellen die Bilder als Erregungsvorlage ins Internet und bloggen Rezepte sowie Kommentare. So führt der Amerikaner Javier Garcia ein kulinarisches Internet-Tagebuch, und läßt seine Blog-Besucher durch Fotos virtuell mitfuttern. (Leider sind die Aufnahmen derart laienhaft, daß sie eher Brechreiz als Appetit anregen.)
Nachdem die sexuelle Revolution im Beziehungs-Müll versunken ist, versucht es die neue Generation auf oraler Ebene – und beschränkt sich großteils aufs Virtuelle. Vielleicht ist diese „orale Revolution“ radikaler als man glaubt? Womöglich versteckt sich hinter dem glamourösen Foodietum eine Verzichtsethik, die das Begehren höher schätzt als die Erfüllung, es deshalb durch Ästhetisierung und Entsagung bewahren will? Daß diese kulinarischen Geißelbrüder ihren Nahrungskult ins Religiöse steigern, verrät schon der Titel der deutschen Blogseite: „Küchengötter“. Die verspricht dem Besucher die „besten Rezepte zwischen Himmel und Erde“. Bon appetit!
Natürlich hat die Foodie-Bewegung auch eigene Stars: Cathy Earway und Laena McCarthy, die auf selbstgekochte Konfitüre schwören. Da feiert Omas Kochbuch globale Auferstehung. Wer sich mit anderen Virtual-Gourmets austauschen möchte, muß nur die prominente Plattform mit den zwanghaften Namen „Mustlovefood” (Muß das Essen lieben) anklicken. Deren Mitglieder präsentieren sich als magersüchtige Hochglanzmodels. Teilweise sind die Fotos derart digital verfremdet, daß die Gourmets wie Wachsfiguren wirken. Übertroffen wird dieser Eindruck durch tiefschürfende Profilbeschreibungen.
Inzwischen haben die Foodies auch „Facebook“ geentert
In der Kategorie „About me“ (Über mich) schreibt eine Benutzerin den Satz: „I am a beautiful girl“ (Ich bin ein schönes Mädchen), nichts weiter. Eine andere Plastikpuppe ist da bescheidener: Sie nennt sich „gossip girl“ (Klatsch- und Tratschgöre). Da kann man sich an geistiger Nahrung so richtig satt essen. Inzwischen haben die Foodies auch „Facebook“ geentert.
Den definitiven Kommentar zur Food-Fixierung gab der Filmregisseur Peter Greenaway schon über 20 Jahren in „Der Koch, der Dieb, seine Frau und ihr Liebhaber“ (1989). Er zeigt kriminelle Neureiche, die glauben, daß alle Kostbarkeiten dieser Erde – Pflanzen, Tiere – nur entstehen, um in raffinierter Zubereitung auf dem Teller zu landen.