Leute, es wird ernst: Dieses Gefühl drängt sich auf, wenn man die laufende Diskussion über eine EU-Wirtschaftsregierung verfolgt. Die will vor allem Frankreich, das hierin spätestens seit Ausbruch der Finanzkrise im Jahre 2008 ein Instrument sieht, die Finanz- und Wirtschaftspolitik der 16 Euro-Länder zu „harmonisieren“.
Zum anderen eröffnet sich hier die Möglichkeit, auf die Geldpolitik in Europa Einfluß zu nehmen. Das französische Argument lautet: Eine gemeinsame Währung verlangt auch eine gemeinsame Wirtschafts- und Finanzpolitik, was erst recht in Krisenzeiten gelte. Nun könnte man sich zurücklehnen, denn der Plan einer EU-Wirtschaftsregierung ist bisher über unverbindliche Phrasen offenbar nicht hinausgekommen.
Das aber hieße, die Hartnäckigkeit zu unterschätzen, mit der Frankreichs Präsident Sarkozy und andere vor ihm dieses Ziel verfolgten. Hinter den Kulissen sammelt Sarkozy seine Legionen, und nach allem, was man hört und liest, wächst die Zahl der Befürworter dieses Plans. Was mit einer derartigen Wirtschaftsregierung droht, deutete Spaniens Ministerpräsident Zapatero an, als er erklärte: „Wirtschaftspolitik ist keine nationale, sondern eine europäische Angelegenheit.“
Das „Recht auf Einsichtnahme“
Was bedeutet das konkret? Absehbar ist, daß mit einer EU-Wirtschaftsregierung ein Instrument geschaffen wird, das die nationale Budgethoheit – Grundrecht eines jeden Parlaments – zu erodieren imstande ist. Das heißt, daß den Parlamenten unter dem schönen Schlagwort „Harmonisierung“ die nationale Steuerung der Wirtschafts-, Finanz- und möglicherweise auch Sozialpolitik schleichend entwunden wird.
Was das für Deutschland nach sich zöge, liegt auf der Hand: Es wäre endlich möglich, den ungeliebten Exportgiganten Deutschland am Nasenring zu führen. Frankreich, auf dessen maßgebliches Betreiben hin bereits der Euro eingeführt und die Bundesbank entmachtet wurde, hätte damit den krönenden Schlußstein des Projekts Euro gesetzt, nämlich ein Mitspracherecht in der deutschen Wirtschafts- und Finanzpolitik.
Es würde damit an einen jahrhundertelang verfolgten Anspruch anknüpfen, das „Recht auf Einsichtnahme“ in die deutschen Angelegenheiten („Droit de regard“), dessen Hintergründe der deutsche Diplomat Werner Rouget in seinem leider wenig rezipierten Buch „Schwierige Nachbarschaft am Rhein“ (1998) beleuchtete.
Der Preis für die deutsche Einheit
Zu erinnern ist in diesem Zusammenhang an die Aussage des ehemaligen Bundespräsidenten Richard von Weizsäcker in der inzwischen eingestellten Zeitung Die Woche vom 19. September 1997, der Euro sei „nichts anderes als der Preis für die Wiedervereinigung“.
Zu erinnern ist auch an eine Einlassung von Brigitte Sauzay, der mittlerweile verstorbenen Dolmetscherin des französischen Präsidenten Mitterand, die in ihren Memoiren schrieb: Mitterand habe seine Zustimmung zur Wiedervereinigung „nur um den Preis gegeben, daß der deutsche Kanzler [Helmut Kohl] die Mark dem Euro opfere“ (Spiegel-Special, Nr. 2/1998).
Bundeskanzlerin Merkel ist Sarkozys Plänen mit ihrer Zustimmung zum 750-Milliarden-Euro-Rettungsschirm bereits ein weites Stück entgegengekommen, droht dieser Schirm doch „institutionalisiert“ zu werden – mit der Konsequenz, daß die Deutschen dauerhaft zur Ader gelassen werden können.
Euro-Zone wird Transferunion
Eine sympathische Perspektive für unseriös haushaltende Staaten in der Euro-Zone, die auch erklärt, warum Sarkozy für seine Idee einer EU-Wirtschaftsregierung immer mehr Anhänger gewinnt. Ob die Regierung Merkel die Brisanz dieser Entwicklung erkannt hat und entsprechend dagegenhalten wird, wird sich schon bald weisen.
Es ist indes zu befürchten, daß sie den seit langem verfolgten französischen Absichten – das zeigt bereits ihre fatale Zustimmung zur Umwandlung der Euro-Zone in eine Transferunion – außer „Formelkompromissen“ nicht ernsthaft Steine in den Weg legen wird.
PS: An dieser Stelle noch ein Nachtrag zu meiner letzten Kolumne: Dort muß ich eine Ungenauigkeit, nämlich daß Leerverkäufe in Deutschland verboten seien, wie folgt korrigieren: In Deutschland sind „ungedeckte Leerverkäufe“ seit dem 2. Juni untersagt. Das Verbot betrifft laut Bundesfinanzministerium deutsche Aktien sowie deutsche und österreichische Staatsanleihen.
Für diese Ungenauigkeit bitte ich um Nachsicht. Daß indes die Derivate-Märkte nur „Überbringer der schlechten Nachrichten“ sein sollen, scheint mir angesichts der hemmungslosen Zockerei vor Ausbruch der Finanzkrise in Amerika doch ein wenig verstiegen.