In Krisenzeiten schießen die Verstaatlichungsphantasien ins Kraut. Banken und Autobauer, Handelsriesen und Zulieferfirmen – die Liste derer, die sich vertan haben und nun auf Vater Staats dicke Brieftasche spekulieren, wächst zügig, und ebenso flott sinken die Hemmschwellen bei den politischen Akteuren, nach Sozialistenart den Staat als Großakteur im Wirtschaftsleben mitmischen zu lassen. Sehr freiheitlich ist das nicht. Wirklich gefährlich wird’s, wenn selbst die Presse ins Visier staatlicher Einmischungsphantasien gerät.
Die gedankliche Bresche dafür hat der ehemalige Bundesverfassungsrichter Dieter Grimm im Interview mit der Frankfurter Allgemeinen Zeitung geschlagen. Der Hebel ist der übliche, wenn staatliche Bevormundung gerechtfertigt werden soll: Die Wirtschaftskrise bedroht die Presse, weil Anzeigenkunden und Abonnenten wegbrechen, und verantwortungslose Profitgier läßt das Niveau sinken. Die zunehmende Boulevardisierung ist dem Juristen ein Dorn im Auge. Die Lösung: „Wenn Zeitungen ihre gesellschaftliche Funktion nicht mehr erfüllen könnten, muß über staatliche Hilfen oder ein rundfunkähnliches Regulierungsmodell nachgedacht werden.“
Zeitungen bald parteipolitisch verfilzt wie ARD und ZDF?
Da klingeln die Alarmglocken. Kommen als nächstes dann öffentlich-rechtliche Zeitungen und Zeitschriften, eine Regierungspresse mit Zwangsfinanzierung, die die informationelle „Grundversorgung“ der Bevölkerung womöglich genauso aufgebläht, parteipolitisch verfilzt und für den Steuer- und Gebührenzahler teuer erfüllen soll wie ARD und ZDF?
Angefangen haben die ja schon damit, über ihre Internetangebote, die mit denen der privaten Presse direkt konkurrieren und noch dazu ökonomisch risikofrei vom Gebührenzahler finanziert werden. Gerade die FAZ zieht seit Jahren gegen die Herausbildung „öffentlich-rechtlicher Textkonzerne“ vehement zu Felde.
Und gar Subventionen? Natürlich dürfe es die nur „ohne Inhaltssteuerung“ geben, versichert Grimm treuherzig. Als würden die Parteien, die sich bereits Medienbeteiligungen halten, keinen Einfluß auf die Linie ihrer Blätter nehmen. Bei der Vergabe dürfe „zwar nach Zeitungsgattung, aber nicht nach politischer Richtung“ unterschieden werden, und Subventionen kämen auch „nur für Blätter in Frage, welche die Funktionen, deretwegen man sie erhalten wolle, auch erfüllten“.
Einstieg in die Gleichschaltung der Presselandschaft
Aber welche sind das? Wer bestimmt, welche Zeitungen „systemrelevant“ sind? Wer legt die Kriterien fest? Nicht eine Partei allein, aber doch die politische Klasse als Ganzes.
Subventionen verzerren den Wettbewerb. Wer sie bekommt, hat einen Vorsprung vor der Konkurrenz, wer ausgeschlossen bleibt, kann von den staatlich gestärkten Wettbewerbern noch leichter vom Markt gedrängt werden. Da geht es kleinen nonkonformen Zeitungen nicht anders als dem Mittelständler, der von Schutzschirmen und Rettungspaketen nur die Rechnung über den Steuerbescheid präsentiert bekommt.
Und nein, Staat und Politiker wissen nicht besser, was die Bürger lesen sollten. Wie man es auch dreht und wendet – staatliche Presseregulierungen und Pressesubventionen sind der Einstieg in die Gleichschaltung der Presselandschaft. Ein schwacher Trost, daß der Herr Verfassungsrichter a.D. dafür „im Augenblick“ noch keine „akute Notwendigkeit“ sieht: Das Ei ist gelegt, das Ungeheuer kann irgendwann schlüpfen.
Sorge um die Zukunft der Pressefreiheit
Daß ausgerechnet eine führende und seriöse Tageszeitung wie die FAZ sich dafür hergibt, derlei Gedankenzündeleien an prominenter Stelle auf ihrer Titelseite und in ihrem Videoportal unkommentiert zu verbreiten, gibt in der Tat größten Anlaß zur Sorge um die Zukunft der Pressefreiheit in Deutschland.
Immerhin haben die Leser die versäumte Kommentierung nachgeholt: „Warum hat ausgerechnet ein ehemaliger Verfassungsrichter solch krudes Gedankengut? Und zur Begründung welchen Unfugs soll unsere aktuelle ‘Krise’ denn sonst noch herhalten?“
Dem ist nichts mehr hinzuzufügen.