Letztes Wochenende zog es mich bleichen Schreibtischarbeiter, allgegenwärtiger Adipositas und aufdringlichen Körperkult tapfer ins Auge blickend, dorthin, wo „die Menschen“ an heißen Tagen meist Abkühlung, Sonnenbräune und Zerstreuung suchen (sofern gerade kein Strand erreichbar ist): an den Badesee.
Aus einem Stapel ungelesener Bücher zog ich – ohne freilich genauer auf den Titel zu achten – zur Lektüre ein Buch heraus, das ich dort wohl einmal abgelegt hatte, um es „irgendwann“ zu lesen – ein furchtbarer Fehler, wie sich bald herausstellen sollte: Es handelte sich nämlich um Manlio Sgalambros Werk „Vom Tod der Sonne“, das Ende der 80er Jahre ein (west-)deutscher Verlag hatte übersetzen lassen. Es bedurfte nur einiger Seiten der Konfrontation mit der Gedankenwelt dieses italienischen Philosophen, und mich überfielen Depressionen, als ich auf die fröhlich lachenden, badenden, ausgelassenen oder einfach nur träge dahindösenden Menschen um mich herum blickte.
Nein, nicht die über sie schwebende Melanomgefahr war der Grund, sondern die zutiefst tristen Perspektiven, die eben jener Sgalambro in seinem Buch eröffnete: Wir alle sind nämlich dem Hitzetod geweiht. Sgalambro bringt in Erinnerung, daß der Tod der Sonne ein unvermeidbares kosmisches Schicksal ist; ein Schicksal, dessen wir uns auch hier und jetzt wieder bewußt werden sollten.
Der „schrecklichste aller Schrecken“
Dieses Geschehen hat noch nicht einmal Heidegger denkerisch eingeholt, der zwar fast „wittgensteinisch“ feststellte: „Die Sonne scheint: sie zeigt sich, und es wird warm.“, für die Angst vor dem Tod der Sonne aber keine Worte fand. Heidegger ist beileibe kein Einzelfall: In der Mitte des 19. Jahrhunderts kam es zwar zu einer kurzen Bewußtwerdung dieses „schrecklichsten aller Schrecken“, wie es im „Waschzettel“ des Verlages zu dem Buch von Sgalambro heißt; danach aber wurde dieses Fatum mehr oder weniger aus unserem Denken verbannt.
Dabei liegen die Zahlen doch klar auf dem Tisch: In 7,59 Milliarden Jahren wird die sich immer weiter ausdehnende Sonne die Erde zerstört haben. Bereits in etwa einer Milliarde Jahre scheint die Sonne um 10 Prozent stärker als heute und bringt damit unsere Ozeane – und damit auch die Bagger- oder Badeseen – zum Kochen. Badende werden dann wie die Hummer im brodelnden Wasser weichgekocht.
Statt im See herumzuplantschen, sollte sich der Mensch, wenn ich Sgalambro richtig verstanden habe, „des Elends der eigenen Bedingungen“ bewußt werden. Wer angesichts dessen grundsätzlich über den Sinn der Welt ins Grübeln gerät, dem bescheidet Sgalambro folgendes: „Der Sinnmangel der Welt ist ihr umgekehrter Sinn, wie er sich aus dem Verfall der großen Prädikate ergibt; seit nämlich die Metaphysik nur noch Reklame ist. In der Zeit der Armut der Benennung gelingt es in der Tat nicht, einen Namen für ihn zu finden. Der mangelnde Sinn der Welt ist der Mangel eines Namens für ihren Sinn.“
„Das Gehirn des Menschen ist nicht menschlich“
Ist schon diese Auskunft ernüchternd, kommt sie doch einer totalen Infragestellung unserer Sinnbewirtschaftungsmaßnahmen gleich, gilt dies erst recht für die folgende Einsicht: „Die Wissenschaft kann nicht vom Menschen sprechen, ohne ihn im Universum zu verlieren. Das Gehirn des Menschen ist nicht menschlich.“ Was ist das Gehirn des Menschen aber dann?
Liegt hier ein Grund für die vor Jahren von dem linken Spötter Wiglaf Droste publizierte Textsammlung „Begrabt mein Hirn an der Biegung des Flusses“? Konsterniert betrachtete die Menschen um mich herum: Von welcher Art Hirn werden wir gesteuert? Und was heißt: Die Wissenschaft verliert den Menschen im Universum? Fragen über Fragen in der unbarmherzigen Sonne des Badesees, deren Dimensionen das eigene Fassungsvermögen weit übersteigen. Ich schmiß im wahrsten Sinne des Wortes das Handtuch. So schnell werde ich wohl keinen Badesee mehr aufsuchen …