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Hirn und Staat

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Indem die moderne Hirnphysiologie und ihr philosophischer Anhang, zuvörderst Thomas Metzinger, Gerhard Roth und Wolf Singer, starke Argumente gegen den freien Willen und das autonom-vernünftige Ich aufrufen, leuchten sie den metaphysischen Raum als leer aus, in dem Vernunft und Würde als allem Natürlichen frei enthoben vermutet wurden.

Ist das Ich reduktionistisch lediglich als Tätigkeit der Neuronen beschreibbar, so erscheint es zwar in seinen Verschaltungsvarianten noch immer als komplex und wunderbar, aber die Phänomene Ich und Bewußtsein blieben bei aller Faszination und der Fülle dessen, was sich darin einzuschreiben vermag, selbst reinweg natürlich; und damit wäre nicht nur Kants Pflichtethik obsolet, sondern ebenso das von Jürgen Habermas daraus gebildete Derivat der Diskursethik.

Zwar betet gerade zum Verfassungsjubiläum jeder artige Deutsche den ersten Artikel des Grundgesetzes nach, aber daß dessen zentraler Begriff der Würde nur an der fragilen Konstruktion der Menschheitszweckformel des Kategorischen Imperativs Kants herleitbar ist, interessiert niemanden, geschweige denn es würde außerhalb der Oberseminare gewußt.

Letzte noch mögliche Säkularisierung

Wo die Phrase regiert und jeder sich irgendeine narzißtische Vorstellung von seiner selbstischen Würde macht, ist das auch nicht erfordert. Nur steht und fällt die Würde – ebenso wie die „intelligible“ Vernunft, die zu Natur und Neigung sterilen Abstand halten soll – mit der Frage, ob Metzinger und Kollegen mit der letzten noch möglichen Säkularisierung, nämlich der des Bewußteins selbst, wissenschaftlich Recht behalten.

Ist dem so, bleibt nur zweierlei: Entweder Kant und Habermas gelten in ihren ethischen Fundamenten nur mehr als eine Art Philosophie des Als-ob, oder wir sind endlich wieder bei Schopenhauers „Operari sequitur esse!“ (Das Handeln folgt dem Sein, der Essenz.) und damit bei Hobbes’ Anthropologie, bei Gehlens Kulturbegriff und bei Schmitts Politikverständnis hinsichtlich Staatlichkeit und Dezisionismus.

Wo Vernunft und Moral dem Menschen nicht von Natur aus eigen sind, können sie nur kulturell herausgebildet und exekutiv sowie juristisch geschützt werden, wenn man sich nicht darauf verlassen will, daß die Gattungsgeschichte sie selbständig als Akte von Verständnis und Empathie zwischen Menschen und Gruppen entfaltet.

Illusionen der Aufklärung nicht zu halten

Habermas, der große alte Mann der Linken und Hauptstichwortgeber einer sich sozialdemokratisch gebenden politischen Philosophie, jammert folgerichtig seit Jahren gegen die Hirnphysiologie und deren eindrucksvolle Beweisführungen an, weil für sein Menschenbild und die daran festgezurrte Demokratievorstellung nicht sein kann, was nicht sein darf: „Der szientistische Glaube an eine Wissenschaft, die eines Tages das personale Selbstverständnis durch eine objektivierende Selbstbeschreibung nicht nur ergänzt, sondern ablöst, ist nicht Wissenschaft, sondern schlechte Philosophie.“

Wenn es ans Eingemachte geht, ist mit dem linken Wissenschaftsoptimismus also Schluß; und wo die Illusionen der Aufklärung nicht zu halten sind oder nur noch als Farce funktionieren – so wie Demokratie als Konsens von Wohlstandsegoisten – , da wird sogar der Philosoph derb.

Was den Konservativen philosophisch eigentlich zupaß kommt, stellt ihnen jedoch  eine existentielle Frage: Inwiefern ist ein atheistischer Konservatismus möglich? Dazu gäbe es viel zu denken, aber sehr wenig zu lesen.

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