Vor genau 40 Jahren betrat der US-Astronaut Neil Armstrong als erster Mensch den Mond. Ein kleiner Schritt für ihn, aber ein großer für die Menschheit. Stimmt. Jetzt, am heimischen TV, konnte sie endlich live erleben, was man schon seit langem wußte: Der Mond ist eine tote Kraterlandschaft.
Nochmal 40 Jahre zurück, also vor genau 80 Jahren, kam Fritz Langs Stummfilm „Die Frau im Mond“ zur Premiere. Darin startet die erste bemannte – und beweibte – Rakete zum Mond, weil ein Forscher dort Goldvorräte im großen Stil vermutet. Auch hier wandern die Astronauten über Kraterlandschaften, aufwendig im UFA-Studio errichtet und – ehrlich gesagt, schöner als beim echten Mond. Vielleicht hätte man es einfach dabei lassen sollen.
Deshalb kann man dem Kollegen Willi Winkler von der Süddeutschen Zeitung keinesfalls zustimmen, wenn der schreibt: „Die Mondlandung war, wie alle große Kunst, vollkommen unnütz.“ Der Satz enthält gleich zwei Fehler. Erstens war sie keine große Kunst, konnte dem Vergleich mit der „Frau im Mond” nicht standhalten, zweitens war sie aber nicht unnütz.
Mondlandung entzauberte letztes Symbol der Romantik
Im Gegenteil. Hier demonstrierte ein Weltbild seine konkurrenzlose Effizienz. Nicht gegenüber dem Sozialismus, der seinerseits an einer Rakete bastelte. Mit dem Mond hatte die technisierte Moderne das letzte Symbol der Romantik endgültig entzaubert und kolonialisiert.
Wie sehr diese Landung von Angehörigen anderer Kulturen als metaphysischer Kolonialismus empfunden wurde, beschreibt Jean Ziegler in „Der Sieg der Besiegten“ (1988). Der Soziologe hielt sich im Juli 1969 – während der ersten Mondlandung – im brasilianischen Bahia auf. Diese Hafenstadt ist zugleich das Zentrum des afroamerikanischen Macumba- oder Candomblé-Kults.
Dessen Kosmologie dreht sich um zahlreiche Geistwesen (Orixas), darunter Shango – dem Orixa der Gewitter und der Blitze. Ziegler erzählt: „Allein zog ich, fasziniert von den Stimmen der Nacht, in ein Bistro in der Oberstadt auf dem Terreiro de Jesus. Ein Fernsehapparat über der Theke verbreitet dürftige Feuilletons des TV Globo. Plötzlich wird die Sendung unterbrochen.
„Sie haben euch ganz schön reingelegt”
Ein Sprecher erscheint im hellen Anzug mit Krawatte. Mit bewegter Stimme kündigt er an, daß die Menschheit (…) in wenigen Augenblicken miterleben kann, wie der erste Mensch seinen Fuß auf die Oberfläche des Mondes setzen wird! Die Geräusche im Bistro verstummen plötzlich. Die Unterhaltungen hören auf. Feierliche Stille. Einige Sekunden noch … und wie ein ungeheurer weißer Wurm schiebt sich das Bein Armstrongs aus der Kabine von Apollo XI, sucht Halt auf der ersten Sprosse der Aluminiumleiter, steigt langsam hinab und stellt sich auf den Mond.
Im Hintergrund des Cafés ertönt ein donnerndes Gelächter! Ein riesiger Schwarzer, Dockarbeiter im Hafen, ruft der kleinen vor der Theke versammelten Menge zu: ,Eh, ihr da unten, ihr Dummen! Sie haben euch ganz schön reingelegt, die Amerikaner! Glaubt Ihr, daß Shango – und wäre es auch nur für einen Augenblick – zulassen würde, daß ein Weißer seine Flosse auf den Mond legt?’”
Dieser Hafenarbeiter verweigerte die Weltbildpropaganda und schickte den axtschwingenden Shango gegen die Metaphysik der Technik ins Feld. Und er hat recht. Denn – auch ohne die Faktizität der Landung zu leugnen, sie sagt nichts über die Bedeutung des Mondes innerhalb einer Kultur.
Jedes Phänomen bleibt „wesenhaft“ unfaßbar
So wie die Neurobiologie zwar die materielle Grundlage des Denkens erforscht, aber niemals den Gedanken – sowenig „erklärt“ die Raumfahrt den Mond, wenn er nachts poetische Stimmung erzeugt oder zum Werwolf werden läßt. Hier wurde „nur“ die materielle Grundlage seiner Erscheinung angetastet. Nicht seine Bedeutung. Leonhard Bernstein soll nach der Apollo XI-Landung geklagt haben: „Gebt uns den Mond zurück!“
Nein. Braucht die NASA nicht. Denn sie hat ihn niemals weggenommen. An diesem Beispiel zeigt sich wieder mal, daß jedes Phänomen „wesenhaft“ unfaßbar bleibt. Ein poetischer Hauch ist es, dem Nichts unendlich nah.