Der Hieb, den die Karlsruher Richter mit ihrem Urteil zum Lissabon-Vertrag den Eurokraten verpaßt haben – er sitzt! Das Aufjaulen der getroffenen Hunde ist der Beweis! Besonders laut heulte am vergangenen Samstag in der FAZ ein Prof. Dr. Carl Otto Lenz, CDU-Mitglied, von 1969 bis 1980 Vorsitzender des Rechtsausschusses des Bundestags und von 1984 bis 1997 Generalanwalt des Europäischen Gerichtshofs. Lenz unterstellt den Verfassungsrichtern recht unverblümt ein Fehlurteil und Kompetenzüberschreitung. Sie seien von dem falschen Ansatz ausgegangen, daß 1948 „der Parlamentarische Rat den Grundstein für einen souveränen Nationalstaat legen wollte“. Doch das Wort „souverän“ komme im Grundgesetz gar nicht vor, trotzdem verwende das Verfassungsgericht es 33mal. Lenz ist empört!
Was läßt sich aus seinem Text herauslesen? Vor allem: Lenz hat die spezifische bundesdeutsche Unterwerfungsmentalität verinnerlicht, die er nun als Arroganz der Macht gegen den deutschen Michel wendet, der sich gegen die totale Entmündigung durch Brüssel sträubt. Seine Argumentation ist perfide. Natürlich konnte der Parlamentarische Rat, der das Grundgesetz beschloß, das Wort „souverän“ aus politischen und sachlichen Gründen überhaupt nicht anbringen, denn er repräsentierte keine freie (souveräne) deutsche Nationalversammlung, sondern er wurde von den drei Westalliierten an der kurzen Leine geführt. Der SPD-Politiker Carlo Schmid erklärte denn auch, das beschlossene Grundgesetz sei „im Grunde nichts anderes als die Organisation einer Modalität der Fremdherrschaft; denn die trotz mangelnder voller Freiheit erfolgende Selbstorganisation setzt die Anerkennung der fremden Gewalt als übergeordneter und legitimierter Gewalt voraus“. Eine wichtige Aufgabe der deutschen Politik bestand darin, der vorenthaltenen Selbstbestimmung ohne viel Aufhebens Stück für Stück näherzukommen.
Ausnahmezustand verlängern
Das letzte Wort aber hatten bis zur Wiedervereinigung die Alliierten. Bis dahin galt Artikel 2 aus dem Deutschland-Vertrag von 1955: „Im Hinblick auf die internationale Lage (…) behalten die Drei Mächte die bisher von ihnen ausgeübten oder innegehabten Rechte und Verantwortlichkeiten in Bezug auf Berlin und auf Deutschland als Ganzes einschließlich der Wiedervereinigung Deutschlands und einer friedensvertraglichen Regelung.“ Der ebenfalls 1955 geschlossene Vertrag über den Aufenthalt ausländischer Streitkräfte zwischen Deutschland und acht Vertragspartnern (Belgien, Dänemark, Frankreich, Kanada, Luxemburg, Niederlande, Großbritannien, USA) wurde noch 1990 unbefristet verlängert, er kann nun aber mit einer zweijährigen Frist gekündigt werden.
Das alles hat einsehbare historische Gründe und konnte schwerlich anders verlaufen. Interessant ist nun, daß Eurokraten wie Lenz in der EU offenbar das Instrument sehen, um einen kriegsbedingten Ausnahmezustand zu verlängern, und dies auch noch gutheißen. Wie anders erklärt sich seine Empörung darüber, daß die Verfassungsrichter „der EG/EU keine verfassungsrechtliche Sonderstellung“ zuerkennen, sie der Beurteilung durch den deutschen Demos also gerade nicht entziehen?
Man muß deswegen den Souveränitätsbegriff nicht zum Fetisch erheben – welches europäische Land kann wirklich souverän handeln? Nicht einmal die USA können das! – und die EU auch nicht verdammen. Doch was der Lissabon-Verteidiger Carl Otto Lenz entwirft, hat mit einem Europa freier Völker und Individuen nichts, mit einer drohenden „EUSSR“ eine ganze Menge zu tun.