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Ein zorniger alter Mann

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Häufiger Opernbesucher, der ich bin, sehe ich manchmal Richard von Weizsäcker, den Alt-Bundespräsidenten – natürlich nur von ferne. Anfang 2008 lief in der Komischen Oper Händels „Theseus“, eine blutige Geschichte aus der griechischen Mythologie. Schöne Musik, doch die Inszenierung war miserabel, kurz vor der Pause wurde das Pappschild „Soldaten sind Mörder“ gezückt. Weizsäcker blickte indigniert. Nach der Pause blieb sein Platz leer.

Mir fiel die Szene ein, als ich jetzt sein Spiegel-Interview zum 70. Jahrestag des Kriegsbeginns las. Die Journalisten waren erwartungsgemäß unwissend, und auch an Weizsäcker-typischen Flunkereien fehlten es nicht. Die Frage nach Polen, dem polnischen Korridor und Danzig beantwortet er mit der Unkenntnis seiner jungen Jahre. Dabei hat sein Vater Ernst von Weizsäcker, damals Staatssekretär im Auswärtigen Amt, im Sommer 1939 dem polnischen Botschafter persönlich die Protestnoten gegen die Mißhandlung der deutschen Minderheit und die Strangulierung Danzigs überreicht. Im Tagebuch erregte er sich mehrfach über die „Frechheit der Polen“. Kaum glaubhaft, daß nie darüber zu Hause gesprochen wurde.

„Ungeheuerlichkeit“

Mit Entschiedenheit weist er dagegen die Annahme einer allgemeinen Kriegsbegeisterung zurück. Im Ersten Weltkrieg waren mehrere Geschwister seiner Mutter und seines Vaters gefallen. „Und das ist in Deutschland nicht die Ausnahme gewesen, sondern fast die Regel.“ Deshalb hätte die Aussicht auf einen neuen Krieg „weithin Verstörung und Angst“ ausgelöst. Zornig reagiert er auf jene, die „heute im Nachhinein immer schon ganz genau (…) wissen, was wir Alten damals alles für Empfindungen und Erkenntnisse gehabt haben sollen“.

Der bald 90jährige Mann, der vor 15 Jahren noch ein ungekrönter König und als moralische Autorität unangefochten war, scheint es mit der Angst zu tun zu bekommen. Die Einschläge kommen näher. Schon seit Jahren wird versucht, das Potsdamer Infanterie-Regiment 9, bei dem er bis 1945 diente und das wegen seiner Exklusivität „Graf 9“ genannt wurde, mit Kriegsverbrechen in Zusammenhang zu bringen. Auch die Spiegel-Redakteure versuchen es. Weizsäcker ist außer sich: „Was Sie hier vorbringen, ist so oder so eine Ungeheuerlichkeit. Niemals, auch nicht im Entferntesten“, hätte er davon gehört. „Ich weise das für unseren Bereich zurück.“

Kampagne blieb ihm erspart

Der Spiegel konzediert, Weizsäcker habe sich als Bundespräsident „1985 in einer berühmten Rede zur Schuld der Deutschen am Zweiten Weltkrieg“ bekannt und „den Holocaust ein beispielloses Verbrechen“ genannt. Er hat noch mehr getan, nämlich die Deutschen entweder zu Mitwissern oder zu wissentlichen Verdrängern erklärt. Wegen dieser Rede blieb ihm eine Kampagne erspart, vergleichbar der gegen den österreichischen Bundespräsidenten Kurt Waldheim. Die Mitwirkung an der Verteidigung seines Vaters Ernst von Weizsäcker in einem – ungerechtfertigten – Kriegsverbrecherprozeß hätte dafür genügend Stoff geboten.

Doch aufgeschoben ist nicht aufgehoben. Die Rachetrupps der Vergangenheitsbewältiger werden eines Tages auch nach seinem Skalp greifen und ihn sich an den Gürtel heften.

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