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Deutschland – übercool und dionysisch?

Deutschland – übercool und dionysisch?

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Deutschland – übercool und dionysisch?

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Auf die alte Frage „Was ist deutsch?“ hat sich inzwischen eine Standardantwort etabliert: „Deutsch ist, sich ständig diese Frage zu stellen.“ Mit anderen Worten: Deutsche verfügen über keine Selbstdefinition, während andere Völker intuitiv von ihrem Nationalcharakter wüßten. In Frankreich beispielsweise seien solche Selbstzweifel undenkbar, das Wissen um das „Französische“ stünde da nie in Frage.  
Mag sein, aber deshalb muß diese „Gewißheit“ noch lange nicht stimmen. Wer einmal in Paris war, weiß genau: Frankreich als Land der Lebenskunst und -freude, der Liebe und der Weinseligkeit – das muß ein Mythos sein. Denn dort erlebt man eine gestreßte, hoffnungslos überteuerte Stadt, in der jeder zwei Jobs zum Überleben benötigt, und eine langweilige Haute-Couture-Klasse ihr ästhetisches Terrorregiment führt. Man erkennt glasklar: Die französische Selbstdefinition liegt voll daneben. Mag sie intuitiv auch noch so „gesichert“ sein, empirisch versagt sie restlos.

Fiktive Negativurteile aus dem Ausland

Bezüglich hiesiger Selbstdefinition heißt das: Deutschland ist das Land, das ständig nach seinem Mythos sucht, während andere Nationen an den ihren glauben. Deutsche, das sind Skeptiker gegenüber dem eigenen Mythos.

Und doch läßt die obige Frage keine Ruhe. Allein, um zu wissen, wie man in der globalen Welt von anderen Völkern eingeschätzt wird. Und da scheinen sich die Deutschen erstaunlich sicher zu sein: Die Welt wird das eigene Selbsthaß- und Selbstzweifelimage (natürlich) bedingungslos teilen. Wie oft berufen sich Kritiker hiesiger Mentalität und Kultur auf fiktive Negativurteile aus dem Ausland!
Dabei täte man gut daran, deren Urteilen aufmerksam zu lauschen – sofern sie aus erster Hand stammen. Da erlebt man so manche Überraschung. Die Rede ist nicht von China, deren populäre Darstellung von Deutschland als „Tugendland“ das Selbstbild der „fleißigen Bienen“ bestätigt. Auch nicht von unmittelbaren Nachbarländern – hier herrscht zu wenig Distanz, schwingen jahrhundertealte Klischees beidseitig mit.

Gemeinsame Sehnsucht von Deutschen und Brasilianern

Gehen wir statt dessen weit in den Süden, dessen Mentalität den Hiesigen oft als vorbildlich scheint – bis nach Brasilien: Eine Theatergruppe aus Sao Paulo, das „Teatro Oficina“, gastierte 2005 auf dem Theaterfestival Recklinghausen und in der Berliner Volksbühne mit „Os Sertoes“, einer wild-pulsierenden, erotischen Samba- und Funkrevue, gegen die selbst der Karneval von Rio verklemmt wirkt. Ein Mitglied des Ensembles, der afro-brasilianische Tänzer Pedro Epifania, bekannte nach dem Gastspiel und seiner Arbeit mit hiesigen Jugendlichen: „Die Deutschen haben schwarzes Blut, da können sie machen, was sie wollen.“ Und der Leiter des „Teatro Oficina“, Ze Celso, konstatierte eine gemeinsame Sehnsucht von Deutschen und Brasilianern nach dem Dionysischen (zumal sich das „Teatro Oficina“ seinerseits durch Texte deutscher Autoren wie Friedrich Nietzsche und Hermann Graf von Keyserling inspirieren ließ).

Ein anderes Beispiel ist der US-Regisseur Quentin Tarantino. In der aktuellen Ausgabe der Jugendzeitschrift Neon, anläßlich eines Gesprächs über „Inglorious Basterds“, erwähnte der Interviewer die deutsche Angst, weltweit als „uncool“ zu gelten. Tarantino widersprach dem: „Ihr solltet echt selbstbewußter sein (…) Ihr seid nicht Spießer-Country, ihr seid übercool.“ Zudem lobte er die hiesige Schauspiel- und Filmkunst. Selbst die Edgar-Wallace-Filme der sechziger Jahre, hierzulande abgewertet, finden Tarantinos Bewunderung. Auch deren Regisseur Alfred Vohrer – dessen Werk in deutschen Filmlexika als „belanglos“ oder bestenfalls „annehmbar“ qualifiziert wird – erfährt durch den US-Regisseur Rehabilitierung: „Your Alfred Vohrer was a great director.“

Brackwasser alter Definitionen

Bezüglich des NS-Traumas wünscht Tarantino den Deutschen, daß hier – wie in den USA – „ein singuläres, epochales Ereignis zur endgültigen Verarbeitung einer Schuld aus der Vergangenheit führt. Konkretes Beispiel: Dank der Wahl Barack Obamas ist das Thema Sklaverei abgehakt“.

Fazit: Wenn keine verbindliche Mythologie zum Thema „Was ist deutsch?“ existiert, die Frage trotzdem nicht ruhen kann – warum sich nicht durch derartige Perspektiven anregen, inspirieren oder provozieren lassen? Das wäre allemal besser, als ewig im Brackwasser alter Definitionen zu waten, mit  verinnerlichten Klischees zu jonglieren und negative Selbstbilder ewig zu konservieren.    

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