Im Interview mit der JUNGEN FREIHEIT läßt sich der erfolgreiche Meinungsforscher Hermann Binkert ein wenig in die Karten schauen: Wie schaffen es Demoskopen überhaupt, erstaunlich präzise Wahlergebnisse mit wenigen Prozentpunkten Abweichung vorauszusagen? Auf Basis der Befragung von zweitausend repräsentativ ausgewählten Bürgern, die für 60 Millionen wahlberechtigte Deutsche stehen? Eine beeindruckende Technik.
Politikern wird in den vergangenen Jahrzehnten über Deutschland hinaus der Vorwurf gemacht, ihr Handeln überwiegend an Umfragen auszurichten. „Stimmungsdemokratie“ oder „Populismus“ wurzelten darin. Schon Helmut Kohl wurde dies nachgesagt, Angela Merkel hat es jedenfalls auf die Spitze getrieben. Wie ein Chamäleon das eigene Profil den Konkurrenzparteien anzuverwandeln, um Wahlkämpfen die Polarisierung zu nehmen und schließlich die Stimmen der Mitte zu monopolisieren.

Demoskopie verändert das politische Geschäft
Doch irgendwann lassen sich Repräsentationslücken nicht mehr mit Polit-PR kaschieren, brechen sich reale Defizite Bahn, entladen sich aufgestaute Stimmungen in Erfolgen neuer Parteien. Die AfD – und neuerdings auch die Linkspartei – werden zum Auffangbecken latenter Unzufriedenheit und machen sie sichtbar.
Doch auch diese stehen irgendwann vor demselben Dilemma wie etablierte Parteien und ihre Führungen – insbesondere wenn sie politische Verantwortung übernehmen sollen: Geben sie auch nur wechselhaften Stimmungen ihrer in vielen Einzelfragen erstaunlich heterogenen Anhängerschaft nach? Aktuell läßt sich das im Streit um Sicherheitspolitik, Ukraine-Krieg, Nahost-Konflikt gut beobachten. Behält nicht der Politiker den Kopf oben, der frühzeitig den Finger demoskopisch in die Luft hält und sein Fähnchen nach dem Wind hängt?
Ein Staatsmann, darf nicht jedem gefallen wollen
Häufig wurden in der Geschichte indes Politiker als Staatsmänner berühmt, die das Gespür für Stimmungen mit dem Mut verbanden, unpopuläre Entscheidungen zu treffen und auch gegen Mehrheiten in der eigenen Partei, Anhängerschaft, sogar der gesamten Öffentlichkeit durchzusetzen. Hier ist dann die Überzeugungskraft notwendig, zu erklären, weshalb ein bestimmter Weg im übergeordneten Interesse, im Zweifel der Nation, eingeschlagen werden muß.
Gelegentlich scheint es zu reichen, offene Türen einfach nur einzurennen und dafür kurzfristigen Applaus zu ernten. Doch der Demoskop Binkert warnt vor dieser Versuchung: Langfristig wünschen sich Bürger Orientierung und Politiker, die „im pluralen Wettbewerb der Ideen“ sie „von ihren Zielen überzeugen“. Mehr Mut zu Überzeugungen!