Mit ihrer auf dem Parteitag in Dresden präsentierten Wahlkampagne „Deutschland. Aber normal“ hat die AfD einen Volltreffer gelandet. Das müssen auch Gegner der Partei einräumen. Sie trifft ein über ihre Anhängerschaft hinaus verbreitetes Gefühl, daß Deutschland in den letzten Jahren gesellschaftlich aus den Fugen geraten ist.
Ob bei der Energiewende oder der Grenzöffnung – Deutschland verhält sich, so der britische Politologe Anthony Glees einmal treffend, wie ein „Hippie-Staat“, der politisch seinen Verstand verloren habe. Neben immer absurderer Politischer Korrektheit und Gender-Sprachzwang läßt der Dauerlockdown und eine maßlose Coronapolitik Sehnsucht nach gewohnter Normalität wachsen.
So professionell die Wahlkampagne zum Auftakt plaziert wurde, so sehr konterkarierte der Verlauf des Parteitages dann diese Botschaft. Wollte man gerade noch mehr Sympathien gewinnen, das Zerrbild politikunfähiger Radikalinskis entkräften – so waren Delegiertengruppen bei Änderungsanträgen des Wahlprogramms eifrig bemüht, wo es ging ordentlich weitere „Schippen draufzulegen“.
Revanchefouls
Durch Abwesenheit oder Nichtintervention des Führungspersonals entstand ein Vakuum. Dieses nutzte insbesondere Thüringens Landeschef Björn Höcke weidlich für Revanchefouls gegen den Bundesvorstand. Dabei ging es auf Kosten politischer Vernunft darum, dem innerparteilichen Gegner symbolische Niederlagen zu bereiten: etwa durch unrealistische Forderungen wie dem EU-Austritt Deutschlands oder überdrehte Corona-Thesen.
Ferner kann jeder Bundesbürger nachts geweckt im Halbschlaf hersagen, daß die AfD eine einwanderungskritische Partei ist. Welchen Sinn hat es, solche Alleinstellungsmerkmale nicht nur überzubetonen, sondern sie auch noch ins Absurde weiter zu verschärfen?
Vergleiche mit den Grünen hinken
Papier ist geduldig, meinen manche. Wer läse schon Wahlprogramme? Adenauer habe die ersten drei Parteiprogramme der CDU ignoriert und teils schlicht das Gegenteil dessen gemacht, was Parteitage dort niedergeschrieben hätten. Andere ziehen Parallelen zu den Grünen, die auch Jahre brauchten, um die größten Sektierer und Fundamentalisten loszuwerden.
Diese Vergleiche hinken. Den Grünen wurde auch in ihrer radikalen Phase mit erheblichem Wohlwollen in Medien und Gesellschaft begegnet. Ihnen wuchsen Fachleute und Experten zu. Bei der AfD ist das Gegenteil der Fall.
Daß sich zahlreiche Besonnene auf dem Parteitag in Dresden taktisch zurückgehalten haben, soll an noch fehlenden Listenaufstellungen in NRW, Bayern und Baden-Württemberg gelegen haben. Es wird im Anschluß erhebliche Mühe kosten, will die Partei die zahlreich aus dem Schrank gefallenen Tassen wieder einsammeln und sich passend zu ihrer Kampagne auf „AfD. Aber normal“ besinnen.
JF 16/21