Rund zwei Jahre lang hat sich Markus Söder in der Corona-Krise als „Mr. Knallhart“ profiliert. Schärfere Maßnahmen für alle, Ausweitung der 2G-Regel, längerer Lockdown und drohende Kampfansagen an Impfgegner („Ohne Impfen keine Freiheit“). Daß er mit seiner Corona-Politik mehrfach übers Ziel hinausschoß, störte Söder dabei nicht.
Ebenso wenig, daß Gerichte wiederholt seine Maßnahmen kassierten. Sei es das Ausflugsverbot für Bewohner von Corona-Hotspots („15-Kilometer-Regel“) im Januar vergangenen Jahres, die Ausgangssperren aus dem ersten Lockdown im März 2020 oder wie zuletzt die 2G-Regel im Handel. Das alles kratzte Söder wenig. Auch daß er härtere Maßnahmen auf Basis falscher Inzidenzzahlen von Ungeimpften begründet hatte, schien egal. Der bayerische Ministerpräsident gefiel sich weiterhin in der Rolle des Corona-Killers und Pandemie-Fighters.
Doch seit wenigen Tagen sind aus dem Mund des CSU-Chef auf einmal ganz andere Töne zu vernehmen, fallen Worte wie „Vernunft“, „Vereinfachung“ und „Augenmaß“. Plötzlich ist von Lockerungen die Rede, anstatt wie bisher von weiteren Verschärfungen.
Wahlen wirken Wunder
Der von Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) in einer selbstherrlichen Nacht- und Nebelaktion verkürzte Genesenenstatus soll laut Söder wieder sechs Monate gelten. Es brauche ein „Vorgehen mit Augenmaß“. Wenn ausgerechnet Söder das fordert, drängt sich der Vergleich vom Kampfjet auf, der dem Spatzen rät, er solle doch ein bißchen leiser fliegen.
Aber woher kommt der plötzliche Sinneswandel? An wirkliche Einsicht mag man bei Söder nicht glauben. Vielmehr dürften die zahlreichen Bürger, die jeden Montag in Bayern gegen die Corona-Politik auf die Straße gehen – und das trotz entsprechender Verbote durch kommunale Behörden –, den CSU-Chef zum Umdenken veranlaßt haben.
Schließlich ist im kommenden Jahr Landtagswahl im Freistaat. Und dessen Bewohner sind weniger als obrigkeitshörig bekannt, sondern dafür, auch mal auf stur zu stellen und den Regierenden einen Denkzettel zu verpassen, wenn sie das Gefühl haben, von diesen mit bürokratischen Vorschriften und willkürlichen Regeln gegängelt zu werden.
Zur Wahrheit gehört eben auch, daß trotz entsprechender Dauerwarnungen von Söder, das Gesundheitssystem in Deutschland in den vergangenen zwei Jahren weder kollabiert ist, noch sich die Leichen der Corona-Toten auf den Fluren der Krankenhäuser stapelten.
Söder fürchtet den Stimmungsumschwung
Daß sich auch bei immer mehr Bürgern, die lange harte Maßnahmen unterstützen, langsam eine Pandemiemüdigkeit einstellt, die offizielle Corona-Linie hinterfragt wird und ihr Vertrauen in die Regierung schwindet, ist nicht von der Hand zu weisen. Ein Zeichen dafür ist nicht zuletzt die wachsende Zahl der Montagsdemonstrationen und Spaziergänger.
Und genau diesen Stimmungsumschwung fürchtet Söder. Auch weil der sprichwörtlich bayerische Dickschädel nicht zu Vergeßlichkeit neigt und ihm sein neues Image als „Mr. Freiheit“ vielleicht nicht abkauft.
Die Sorge ist durchaus berechtigt, denn immer mehr Wähler haben erkannt: Sobald sich der Wind wieder dreht und er es für opportun hält, wechselt auch Söder erneut sein politisches Hemd nach der passenden Mode. Und zwar so lang, bis ihm der Wähler klarmacht, daß er eigentlich nackt ist.