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Ausbildungssituation im Handwerk: Den Schalter umlegen

Ausbildungssituation im Handwerk: Den Schalter umlegen

Ausbildungssituation im Handwerk: Den Schalter umlegen

Ausbildung
Ausbildung
Auszubildender arbeitet an einer sogenannten Übungswand mit einer Rohrzange an einem Waschbecken. Foto: picture alliance/dpa/dpa-Zentralbild | Sebastian Kahnert
Ausbildungssituation im Handwerk
 

Den Schalter umlegen

Die Daten sind alarmierend: Die Zahl der abgeschlossenen Ausbildungsverträge ist im vergangenen Jahr erstmals unter 500.000 gefallen. Blaumannberufe sind out, die „woke“ Jugend will Weißkittelberufe oder irgendeinen Büro- oder Home-Office-Job. Vor allem an den Schulen muß deshalb ein Umdenken stattfinden.
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Die Zahlen sind alarmierend: Im Jahr 2020 haben nur 465.700 junge Leute in Deutschland einen Ausbildungsvertrag abgeschlossen. Das sind 47.600 oder 9,3 Prozent weniger als 2019. Seit 1977, als erstmals eine Statistik geführt wurde, ist dies der größte prozentuale Rückgang. Die Zahl der abgeschlossenen Ausbildungsverträge ist damit erstmals unter 500.000 gefallen. Den größten Rückgang gab es im Gast- und Verkehrsgewerbe. Das könnte ein Hinweis darauf sein, daß hier Corona einwirkte. Denn diese Branchen hatten und haben am meisten unter Lockdowns und Co. zu leiden.

Interessant, ja alarmierend ist freilich, daß der Anteil der von Frauen abgeschlossenen Verträge jetzt bei 36,2 Prozent lag, während er 2010 noch bei 41,8 Prozent gelegen hatte. Und, nicht weniger auffallend: Insgesamt schlossen im vergangenen Jahr 52.100 Personen mit ausländischer Staatsangehörigkeit einen Neuvertrag ab, das waren 12,6 Prozent weniger als im Vorjahr. All dies hat auch damit zu tun, daß manche Branchen weniger Lehrstellen anboten. Aber noch gravierender ist, daß die Zahl der Bewerber um 35.000 zurückging.

„Weniger Bewerber wegen Corona!“ So werden die Zahlen interpretiert. Denn im Lockdown habe es weniger persönliche Beratung in Schulen und Jobagenturen, weniger Ausbildungsmessen und Praktika gegeben. Die jungen Leute und ihre Eltern seien wegen Corona verunsichert und machten sich Sorgen um die Sicherheit eines Ausbildungsplatzes. Das ist ein Stück Wahrheit, aber nicht das größte Stück. Denn Corona hat nur einen Trend beschleunigt, der sich seit Jahren abzeichnete und den eine von einer (Pseudo-)Akademisierung berauschte und Fachkräftezuwanderung herbeiphantasierende Nation nicht wahrhaben wollte. Man log sich in die Tasche.

Zahlen zeigen Schieflage

Die harten Zahlen sprechen seit mindestens zwanzig Jahren eine andere Sprache. Im Jahr 2000 gab es in Deutschland 1,9 Millionen Studenten, 2020 waren es 2,9 Millionen. Auszubildende gab es im Jahr 2000 knapp 1,7 Millionen, 2020 rund 1,3 Millionen. Dieser Vergleich hinkt in einer Hinsicht, denn ein Studium dauert länger als eine Lehre. Aber die Zahlen zeigen doch die Schieflage. Berufliche Bildung in Deutschland, das „Qualified in Germany“, ist nur noch Sonntagsrede.

Es schlägt sich hier etwas nieder, das in den 1960er Jahren begann. Sprüche geisterten durch das Land wie: „Schick dein Kind länger auf die Schule!“ In den Köpfen der jungen Leute und vor allem ihrer Eltern blieb hängen: „Der Mensch beginnt erst mit dem Abitur.“ In der Folge öffneten sich die Gymnasien und wurden zu den eigentlichen Hauptschulen. Die Ansprüche wurden immer weiter heruntergefahren, kaum noch ein Schüler blieb sitzen, und nahezu alle wurden zum Abitur durchgeschoben – bis hin zu immer besseren Noten, mit Notendurchschnitten in so manchen Gymnasien von 1,95. Aus dem Prinzip Abitur = Studierbefähigung wurde das Prinzip Abitur = Studierberechtigung.

Die Hochschulen öffneten sich ohne jeden Widerwillen, sie senkten die Ansprüche ebenfalls. Die Bologna-Reform der Hochschulen tat ein übriges, der Bachelor wurde mehr und mehr zum Tod von Facharbeiterzertifikaten. Von der OECD ließ sich die Politik in Deutschland obendrein über Jahrzehnte hinweg einreden, es gebe hier zu wenige Studenten. Man verglich Deutschland mit Ländern mit angeblich hohen „Akademisierungsquoten“, in denen freilich Facharbeiterabschlüsse unter deutschem Niveau, aber mit einem Hochschulstempel vergeben werden.

Berufliche Bildung liegt darnieder

Und nun haben wir eine zweifache Malaise. Die berufliche Bildung liegt zunehmend darnieder, Fachkräfte fehlen, Handwerker bekommt man oft erst nach Monaten ins Haus. Auf Baustellen hört man häufig nur nichtdeutsche Töne. Pflegekräfte werden – mit geringem Erfolg – von einem Bundesgesundheitsminister in Mexiko oder sonstwo angeworben. Der Wirtschaftsstandort Deutschland pfeift aus dem letzten Loch.

Zugleich schleppt sich ein Heer an „Studierberechtigten“ durch die Hochschulen, macht auf „Diskussionswissenschaften“ oder studiert „irgendwas mit Medien“. Blaumannberufe sind out, die „woke“ Jugend will Weißkittelberufe oder irgendeinen Büro- oder Home-Office-Job. Die Frage, wo Wertschöpfung stattfindet, stellen wir hier wohlweislich nicht.

Ist das noch umzukehren? Was sagen die Parteien im Vorfeld der Bundestagswahl dazu? Wir nehmen das Ergebnis vorweg: Fast nur heiße Luft. Die Deutsche Handwerks-Zeitung hat dazu die im Bundestag vertretenen Parteien befragt. Das magere Ergebnis: Die CDU/CSU redet ohne konkret zu werden, davon, daß ihr die „Gleichwertigkeit von beruflicher und hochschulischer Bildung“ ein „Herzensanliegen“ sei. Die FDP will „unser erfolgreiches berufliches Bildungssystem stärken und fit für die Zukunft machen“.

Auch wenig konkret. Die SPD und die Grünen schwärmen – ganz planwirtschaftlich – von einer „Ausbildungsgarantie“ für „Berufsanfänger*innen“. Die Linke will „mehr Schutz vor Ausbeutung, eine Mindestausbildungsvergütung und mehr Mitspracherechte“. Die einzige Partei, die den Finger in die Wunde legt, ist – horribile dictu – die AfD. Sie sagt klipp und klar: „Die Politik der Bundesländer, die das ‘Abitur für alle’ anstreben, ist gescheitert.“ Aber auch damit allein wird nichts besser.

Eine Besserung ist nur in Sicht, wenn erstens der Markt endlich reagiert. Es kann nicht sein, daß Geistes- oder Sozialwissenschaftler in puncto Vergütung und Ansehen besser dastehen als ein Handwerker. Zweitens müssen die Gymnasien (wieder) zu Schulen werden, die für das Gymnasium Geeignete aufnehmen, um sie studierfähig zu machen. Damit dies geschehen kann, müssen – drittens – Eltern am Übergang von der Grund- zur weiterführenden Schule von Vertretern der letzteren nicht nur über die Wege oder Umwege zu einer Studierberechtigung informiert werden.

Nein, in solche Beratungen gehören Vertreter der Kammern und Berufsschulen. Vielleicht legt sich dann doch bei mehr Eltern der Schalter um und sie sagen: „Mein Kind ist mein Kind auch ohne Abitur. Es hat eine stolze Zukunft auch ohne Abitur.“

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Josef Kraus war von 1987 bis 2017 Präsident des Deutschen Lehrerverbandes.

JF 35/21

Auszubildender arbeitet an einer sogenannten Übungswand mit einer Rohrzange an einem Waschbecken. Foto: picture alliance/dpa/dpa-Zentralbild | Sebastian Kahnert
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