Es ist noch nicht lange her, da schien die Kanzlerschaft Angela Merkels (CDU) erkennbar in den allerletzten Zügen zu liegen. Während längst klar war, daß die jetzige Legislaturperiode ihre letzte als Regierungschefin sein sollte, fragten sich selbst Merkel-Getreue, ob sie überhaupt noch bis zur nächsten regulär angesetzten Bundestagswahl durchhält oder ob ihr Stuhl im Kanzleramt schon vorher neu besetzt würde. Dann kam Corona.
In Zeiten der Pandemie steigen nicht nur die Zustimmungswerte der Kanzlerin und ihrer Partei in den Umfragen wieder in längst vergessene Höhen, auch viele Journalisten und sogar langjährige politische Kontrahenten sind plötzlich wieder voll des Lobes für die eiserne Kanzlerin des kleinen Stechschritts und ihre alternativlose Politik in der Krise.
Im Axel-Springer-Hochhaus bringen die wiedererweckten Merkel-Jünger gar schon eine fünfte Amtszeit der Gottkanzlerin aus der Uckermark ins Spiel. „Selbst harte Kritiker in der Union geben intern zu: Sie macht einen guten Job. Nüchtern, erfahren und mit allen Akteuren im In- und Ausland vertraut“, heißt es in einem entsprechenden Artikel der Bild. „Ich bin heilfroh, daß wir sie haben“, zitiert das Blatt einen nicht näher benannten CDU-Mann, der laut dem Insider-Bericht schon „viele Kämpfe mit Merkel ausgefochten“ hat.
Selbst Merz gerät ins Schwärmen
Während sich aber so mancher ihrer neuen und alten Verehrer in der längst nicht überstandenen Krise bislang nur hinter vorgehaltener Hand zu seiner Begeisterung für Merkel bekennt, sprechen ihr andere schon ganz offen ihre Anerkennung aus. Sogar Intimfeind Friedrich Merz findet, daß Merkel „ihre Sache gut“ macht, wie der Corona-Genesene der Westfalenpost in einem seiner ersten Interviews nach überstandener Krankheit verriet.
Auf Nachfrage, ob die Kanzlerin denn nicht zu spät reagiert habe, gerät der 64jährige sogar regelrecht ins Schwärmen für die Frau, die angeblich so lange ein rotes Tuch für ihn war: „Frau Merkel gehört zu den Politikern, die erst nachdenken und dann reden, und das ist mir gerade in einer solchen Situation sympathischer als umgekehrt.“
So bizarr es auf Außenstehende auch wirken mag, innerhalb des politisch-medialen Betriebs scheint man sich lagerübergreifend darauf geeinigt zu haben, lieber über das vermeintlich gute Krisenmanagement der Bundeskanzlerin zu sprechen als darüber, wie die Versäumnisse, gerade auch ihrer Regierung, entscheidend zu der jetzigen Situation beigetragen haben und wie mit den restriktiven Maßnahmen diese Scharte ganz offensichtlich ausgewetzt werden soll. Daß die oberste politische Verantwortliche des Landes nicht nur ohne ausreichende Schutzkleidung, sondern gänzlich nackt dasteht, mag offenbar kaum jemand sehen oder wahrhaben.
Kanon zur Huldigung der Kanzlerin
Manch einer meldet sich gar aus der Polit-Rente, um in die ultimative Merkel-Lobhudelei mit einzustimmen. Jüngst wollte selbst Altkanzler Gerhard Schröder die auch über Ostern geschlossene Kirche in Sachen des schwarz-roten Kabinetts nicht mehr im Dorf lassen. Der SPD-Mann bescheinigte seiner Nachfolgerin im Interview mit der Hannoverschen Allgemeinen Zeitung, sie mache in der Corona-Krise einen „sehr guten Job“.
Außerdem warnte der alte Putin-Freund und neue Merkel-Sympathisant im Gespräch mit seiner Heimatzeitung vor einer Belastung der Handelsbeziehungen zu China. „Wir brauchen chinesische Unternehmen für den Aufbau der 5G-Technik – und wenn da Schutz notwendig ist, dann sollten wir in der Lage sein, ihn zu organisieren. Ganz klar: Wenn wir offene Märkte wollen, dann gilt das auch für China. Wer das kritisiert, hat Globalisierung nur bedingt verstanden“, so Schröder.
Daß inzwischen sogar die Unternehmenschefs der schon vor der weltweiten Ausbreitung des Virus arg gebeutelten deutschen Autokonzerne VW und Audi trotz aller Einschränkungen durch die Regierung in den Kanon zur Huldigung der Kanzlerin einstimmen und diese öffentlich mit regelrechten Danksagungen überschütten, kann man eigentlich nur noch mit dem berühmt-berüchtigten Stockholm-Syndrom erklären.