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Bundespräsidentenwahl: Mehr Demokratie wagen

Bundespräsidentenwahl: Mehr Demokratie wagen

Bundespräsidentenwahl: Mehr Demokratie wagen

Frank-Walter Steinmeier
Frank-Walter Steinmeier
Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier Foto: picture alliance / AA
Bundespräsidentenwahl
 

Mehr Demokratie wagen

Steinmeier ist neuer Bundespräsident. Er hätte mehr verdient, als von einer kleinen Kamarilla nominiert und durchgepeitscht zu werden. Eine Direktwahl des Bundespräsidenten ist lange überfällig. Ein Kommentar von Thomas Fasbender
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Als junger Mann trug Steinmeier einen Che-Guevara-Bart. Um ein Achtundsechziger zu sein, war er, Jahrgang 1956, zu jung. Aber er lebte als Jura-Student in Gießen in einer WG, unter anderem mit seiner damaligen Freundin Waltraud, fuhr eine blaue Ente und hörte gern Wolf Biermann, schrieb die Welt. Horst Seehofer soll gesagt haben, er habe unter der Bevölkerung „kein einziges kritisches Wort“ gegen Steinmeiers Nominierung als Kandidat für das Amt des Bundespräsidentenamt gehört.

Also alles paletti? Wenigstens löst Steinmeiers Berufung ins Schloß Bellevue keine Legitimitätsdiskussion aus. Es reicht, wenn der CSU-Chef im Volk allgemeine Zustimmung festellt. Ohnehin weiß nur eine Minderheit, daß am heutigen Sonntag die Bundespräsidentenwahl stattfand.

Blick in die Nachbarländer

Das apathische Verhältnis der Deutschen zu ihrem Staatsoberhaupt charakterisiert die Demokratie in unserem Land. Hauptsache, es läuft. Da die Gründerväter der Republik – nach den Erfahrungen vor 1933 – das Staatsoberhaupt nur mit minimalen Rechten ausstatten wollten, nahmen sie ihm gleichzeitig die Legitimation durch eine allgemeine Wahl. Im Fall einer Verfassungskrise sollte der Präsident sich nicht darauf berufen können, legitimer – weil direktgewählter – Repräsentant des deutschen Volkes zu sein.

Die Hasenfüßigkeit der Grundgesetz-Autoren läßt sich mit der Situation nach der Katastrophe von 1945 erklären. Rund 70 Jahre später ist ein anderer Blick erlaubt. Die repräsentative Demokratie à la Bundesrepublik Deutschland ist ja nicht das einzig vorstellbare Modell. Ein Blick in die Nachbarschaft: Warum dürfen die Österreicher ihren Präsidenten in einer Volkswahl bestimmen? Der hat sogar mehr politische Rechte, auch wenn er nicht wie einst der Weimarer Reichspräsident per Dekret „durchregieren“ kann.

In der Schweiz ist es genau umgekehrt. Dort wird das Amt des Staatsoberhaupts turnusmäßig von einem Regierungsmitglied ausgeübt. Dafür gewährt die Schweiz mit ihren Volksabstimmungen auf allen Ebenen (Gemeinde, Kanton und Föderation) dem Bürger ein solches Maß an Mitgestaltung, daß der Wunsch, nun auch noch den Bundespräsidenten zu bestimmen, gar nicht erst aufkommt.

Konflikte können sich nur außerhalb des Systems artikulieren

Verglichen damit ist das deutsche Volk ein absoluter Teilzeitsouverän, und das ist noch übertrieben. Deutschland ist eine Demokratie, die eigentlich keine ist. Eine Parteiendemokratie, die ihrerseits eine mehr oder minder autoritäre Konsensgesellschaft hervorgebracht hat. Reale gesellschaftliche Konflikte können sich nur außerhalb des Systems artikulieren. Das war um 1968 so, das ist seit Pegida wieder so.

Es wäre Frank-Walter Steinmeier zu wünschen gewesen, daß ihn das deutsche Volk, und sei es im Ergebnis einer Stichwahl, zum Präsidenten bestimmt hätte. So wie es gelaufen ist, kann er keinen Erfolg feiern – was ist das für eine Leistung, von einer kleinen Kamarilla nominiert und durchgepeitscht zu werden?

Steinmeier, der nicht ohne Grund auf breite Zustimmung stößt, hätte mehr verdient. Wer interessiert sich schon für ihn: ausländische Honoratioren und das Mainstream-Feuilleton, die Priesterkaste der Republik. Jetzt darf er polierte Sätze vorlesen und auf den Applaus aus den Redaktionen warten.

Hebel gegen die Inzucht der Parteiendemokratie

Derweil warten draußen die Menschen, schaffen und rackern und sind zunehmend sauer, daß sie von denen im Himmel über Berlin nur noch heiße Luft und politische Korrektheit zu hören bekommen. Ein Präsident, der nicht nur dem Staat, sondern auch dem Volk verantwortlich wäre, würde dem System die so bitter nötige innere Spannung zurückgeben – ein Hebel gegen die Inzucht der Parteiendemokratie.

Er könnte auch gern Frank-Walter Steinmeier heißen, gar kein Problem. Vielleicht sieht er das ja ein und stößt sie selbst an, die dringend überfällige Kampagne für die Direktwahl des deutschen Bundespräsidenten. Mehr Demokratie wagen. Der das gesagt hat, kam auch aus der SPD.

Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier Foto: picture alliance / AA
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