Das Leben ist manchmal schon ungerecht. Seit Jahren schreibt Jakob Augstein für einen linken Politikwechsel in Deutschland. Rot-Rot-Grün, schwärmt der Spiegel-Kolumnist und Freitag-Verleger, könnte die Gesellschaft verändern.
Doch Augsteins Traum vom ersten Regierungsbündnis aus SPD, Grünen und Linkspartei auf Bundesebene hat mit den Ausschreitungen von Hamburg einen herben Rückschlag erlitten. Vor allem in der SPD gibt es Bedenken gegen eine Koalition mit der Linkspartei, in deren Reihen zahlreiche Funktionäre sitzen, die aus ihrer Sympathie für die linksextremen Randalierer keinen Hehl machen.
Nun sitzt der Frust tief beim bestgekleidetsten Medienmacher Deutschlands (GQ). Hatte er doch vor dem G20-Gipfel gefordert, der Preis müsse so in die Höhe getrieben werden, daß niemand mehr eine solche Konferenz ausrichten wolle. Wenig später erfüllte ihm der Schwarze Block seinen Wunsch und verwandelte Hamburg in ein Schlachtfeld.
Ein Schuldiger muß her
Das Dumme war nur: Die Randale hatte ein solches Ausmaß angenommen, daß sich viele, die den G20-Protesten eigentlich positiv gegenüberstanden, entsetzt abwandten. Solidarität mit der Polizei und der Ruf nach einem härteren Vorgehen gegen die linksextreme Szene waren die Folge. Angesichts der Bilder von brennenden Autos wünschen sich die beunruhigten Bürger eine Politik der starken Hand. Rot-Rot-Grün erscheint ihnen deshalb nicht als verheißungsvolle Lösung, sondern als nicht unerheblicher Teil des Problems.
Kein Wunder, daß Augstein angekratzt ist. Ein Schuldiger muß her. Also griff der Publizist im aktuellen Freitag höchstpersönlich zur Feder, um den Verantwortlichen die Leviten zu lesen. Unter der Überschrift „Die Schuld der anderen“ erfolgte eine gnadenlose Abrechnung. Allerdings nicht mit den schwarzvermummten linken Gewalttätern und Molotowcocktail-Schmeißern, sondern mit den Familien im Hamburger Stadtteil Ottensen. Genauer gesagt mit denen, die sich nach den Ausschreitungen eine neue Familienkutsche zulegen müssen.
Autos anzuzünden sei eine Straftat, schrieb Augstein, und schob sogleich den Hinweis hinterher, auch die Besitzer dieser Autos seien keineswegs unschuldig und unbeteiligt. „Denn das Auto, das eine Familie in Hamburg-Ottensen gekauft und bezahlt hat und das da am Wochenende angezündet wurde, ist selber kein wertneutraler Gegenstand, sondern ein politisches Objekt.“
„Wir alle haben kein schlechtes Gewissen“
Zur Herstellung dieses „politischen Objektes“ würden Rohstoffe abgebaut, transportiert und verarbeitet – „unter Bedingungen, die man mit gutem Gewissen weder den Menschen noch dem Planeten zumuten kann“. Aber trotzdem hätten die Familien aus Ottensen, deren Autos abgefackelt wurden, kein schlechtes Gewissen.
„Wir alle haben kein schlechtes Gewissen“, klagt der Millionärserbe, den offenbar das schlechte Gewissen über die eigene privilegierte Situation plagt. Mit anderen Worten: Wer sich keinen in Handarbeit hergestellten Luxuswagen mit Fairtrade-Siegel zulegen kann, sollte gefälligst einfach auf ein eigenes Auto verzichten. Der sozialen Gerechtigkeit zuliebe.
„Wir erkennen die Gewalt nicht, die wir selber ausüben. Nur die, die wir selber erfahren“, schließt Augstein seine Freitags-Predigt. Dies mag auf denjenigen zutreffen, dessen Sehkraft durch einen mächtigen ideologischen Balken im Auge erheblich getrübt ist. Wer seinen Blick vor der Realität jedoch nicht verschließt, erkennt sehr wohl, von wem Gewalt ausgeübt wird. Und er sieht und liest auch, wer sie relativiert und rechtfertigt.