Seinem hemdsärmeligen Auftritt als Pegida-Versteher in Dresden hat Sigmar Gabriel nun noch einen draufgesetzt: Den Journalisten des Stern diktierte er in die Blöcke, es gebe ein „demokratisches Recht, rechts zu sein oder deutschnational“. Die Verweigerung des Gesprächs, meint der SPD-Vorsitzende, habe die Proteste „erst angestachelt und größer gemacht“.
Donnerwetter, das saß! Denn die Obergesprächsverweigerer finden sich schließlich in den Reihen seiner Genossen, zuvörderst natürlich in Person seiner Generalsekretärin Yasmin Fahimi. Die hatte immerhin von „geistigen Brandstiftern“ gesprochen und einer „Schande für Deutschland“.
Gabriels Ausflug mehr Provokation als Programmatik
Nun also ein von ganz oben befohlener Kurswechsel? Gemach. Gabriels verbale Volte ist mehr Provokation als Programmatik. Ein Rechtsruck der SPD erscheint genauso unwahrscheinlich wie eine Wiederbelebung linksnationaler Ansätze. Sein primäres Ziel, für Aufmerksamkeit und etwas Unruhe zu sorgen, hat er jedenfalls erreicht.
Das Aufjaulen in der gralshüterischen Funktionärskaste bis hinab auf Juso-Unterbezirksebene beweist dies genauso wie das Grummeln in der Union, vor allem in der CSU. Dort nämlich empfindet man den Ausflug des Wirtschaftsministers in Richtung „Stammtisch“ als Verletzung des eigenen Luftraums. Nach dem Motto: Wenn einer sein Fähnchen in den Wind hängt, dann sind wir das …
Den Sozialdemokraten geht der Allerwerteste auf Grundeis
Aber genauso verfehlt wäre es, dies als reine Stichelei eines unberechenbaren Quartalsirren abzutun. Für seinen Ausflug ins verminte Gelände des „Populismus“ gibt es gute Gründe, die einer rationalen Lageanalyse entstammen. Die freilich fällt wenig rosig aus; salopp formuliert geht den Sozialdemokraten der Allerwerteste auf Grundeis.
Sieht man vom Sonderfall Hamburg ab, wo die Partei erwartungsgemäß den Wahlsieg einfahren wird, konnte sie bundesweit noch nicht aus dem 25-Prozent-Ghetto entkommen. Frustrierend für eine sogenannte Volkspartei. Daß es noch schlimmer geht, bewiesen die Genossen im Parteigeburtsland Thüringen, wo sie von Platz 3 aus zum Steigbügelhalter der ehemaligen Wende-Kommunisten wurden.
Sozialisten werden von neuen nationalen Linken pulverisiert
Der Blick ins europäische Ausland stimmt nicht optimistischer. Sozialdemokraten beziehungsweise gemäßigte Sozialisten schwächeln auch dort. Manchenorts ist es noch schlimmer, freilich ein schwacher Trost. Dem SPD-Vorsitzenden wird nicht entgangen sein, daß durch den Siegeszug von Syriza am Peloponnes weniger die Konservativen als vielmehr die staatstragenden Sozialisten (Pasok) pulverisiert wurden, die nur noch 4,7 Prozent erzielten.
Ähnliches droht Gabriels iberischen Genossen: Spaniens etablierte Sozialisten liegen in Umfragen auf Platz 3 – hinter der neuen Linkspartei Podemos. Und die setzt analog zu Syriza auf Euro-Skepsis und einen Patriotismus von links: Für das Volk, gegen die Banken, gegen Angela Merkels Deutschland. National liegt voll im Trend – und zwar international.
„Triumph des Nationalen“
Mittlerweile haben kluge Köpfe von links auch hierzulande erkannt, daß da ein Phänomen mit Wucht auf die politische Bühne zurückgekehrt ist, das einfältigere Geister für längst überwunden hielten. „Die Welt sucht nach Gewißheiten“, stellte Michael Bröning, Redakteur in Diensten der SPD-nahen Friedrich-Ebert-Stiftung, kürzlich fest, als er den „Triumph des Nationalen“ analysierte. Viele sähen im „Globalen“ weniger ein Versprechen als mehr eine Bedrohung – ihrer (nicht nur) sozialen Sicherheit und Identität; Stichwort offene Grenzen, Zuwanderung.
Hier setzen die rechten (in einzelnen Staaten auch linken) „Populisten“ mit ihren nationalen Gegenentwürfen an; und werben gerade frühere Wähler der traditionellen Sozialdemokraten erfolgreich ab. Das gilt mittlerweile für den Front National in Frankreich genauso wie für die britische Ukip, für die FPÖ in Österreich schon lange, für flämische Nationalisten auch.
Die CDU bindet die sozialdemokratische Wählerschaft
In Deutschland konnte, so paradox es klingen mag, bisher noch Angela Merkel das Bedürfnis der klassisch sozialdemokratischen Klientel aus Arbeitern, Angestellten und Gewerkschaftsmitgliedern nach Sicherheit und Berechenbarkeit bedienen. Arbeiterpartei war 2013 die Union, die hier mit 36 Prozent fast zehn Prozentpunkte Vorprung vor den Roten hatte. Doch das ist eher ein Sonderfall, der sich nach dem Ende der „Ära Merkel“ schnell erledigen könnte.
Wie aber sah bisher (und sieht immer noch) die Reaktion der Sozialdemokraten auf die „populistische Herausforderung“ aus? Das Zeugnis, das ihr dafür mancher in den eigenen Reihen ausstellt, fällt wenig schmeichelhaft aus: Sie habe „die durch den Populismus artikulierte Unzufriedenheit niemals wirklich ernst genommen, sondern mit pädagogisierender Arroganz beiseite gewischt. Die Auseinandersetzung mit den Argumenten der Populisten wurde schlicht verweigert“, stellte Ernst Hillebrand, Politikanalytiker der Friedrich-Ebert-Stiftung, fest.
Rechtspopulisten wollen nicht weniger, sondern mehr Demokratie
In völliger Verkennung der Realität halte man an alten Feindbildern fest. Aber: „Die rechtspopulistischen Bewegungen sind nicht antidemokratisch, ganz im Gegensatz zu den Bewegungen des klassischen Faschismus. Ihre Forderung ist nicht weniger Demokratie, sondern mehr“, schreibt der Wissenschaftler der Partei ins Stammbuch.
Damit geriert sich die SPD nicht als Verbündeter des „kleinen Mannes“, sondern als Oberlehrer. Dem trendgemäßen Wunsch nach einer Wiederaufwertung des demokratischen Nationalstaats als verläßlicher Bezugsgröße begegnet die Linke ausgerechnet mit Hymnen auf die Überwindung der Nation. Die ist ja bloß was für die Rückständigen, die Abschotter und Hinterwäldler. Dem gegenüber steht liberale Weltoffenheit, Pluralität, europäische Integration.
Doch anders als sozialdemokratische Funktionseliten sehen viele Wähler genau darin keine Lösung, sondern ein Teil des Problems. Vielleicht hat nun wenigstens Sigmar Gabriel dies durchschaut, um gegenzusteuern. Das wäre ein Signal für 2017.
JF 8/15