Der Anschlag auf Präsident Karzai im Herzen von Kabul und inmitten einer großen militärischen Machtentfaltung signalisiert eine Wende im Afghanistan-Konflikt. Wenn Frankreichs Staatspräsident Sarkozy behauptet, am Hindukusch finde kein Krieg statt, muß er jetzt umdenken. Die Art, wie die afghanischen Heereseinheiten fluchtartig auseinandergestoben sind, vermittelt einen Eindruck von der kriegerischen Tauglichkeit dieser in Berlin und Paris weit überschätzten Truppe. Es ist zudem bezeichnend, daß der afghanische Staatschef seine Sicherheit nicht einmal den Angehörigen seines eigenen Clans anvertrauen kann, sondern sich auf US-Söldner, sogenannte „Contract-Workers“, verlassen muß. Natürlich werden die Nato-Kräfte in Afghanistan niemals eine klassische Niederlage erleiden.
Theoretisch könnten sie auf unbegrenzte Zeit in ihren Festungen ausharren. Aber selbst die Russen haben nach zehnjähriger Truppenpräsenz die Konsequenz daraus gezogen, daß sie aus finanziellen und psychologischen Gründen diesen war of attrition nicht durchhalten konnten. Die entscheidende Frage nach dem Sinn des strategischen Engagements in diesem Teil Zentralasiens ist übrigens nie beantwortet worden. Die nebulöse Organisation al-Qaida ist dort längst nicht mehr zu Hause, und eine neue Machtergreifung der Taliban wäre für das strategische Vorfeld Rußlands in dieser Region weit gefährlicher als für Europa oder die USA. Die Behauptung, man könnte von Kabul aus eine islamistische Radikalisierung Pakistans verhindern, ist falsch. Das Gegenteil ist der Fall.