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20. Juli 1944: „Er wollte Hitler verhaften“

20. Juli 1944: „Er wollte Hitler verhaften“

20. Juli 1944: „Er wollte Hitler verhaften“

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20. Juli 1944
 

„Er wollte Hitler verhaften“

Der deutsche Widerstand gegen Hitler begann nicht erst am 20. Juli 1944. Kein Geringerer als der Chef der Reichswehr, Kurt Freiherr von Hammerstein, wünschte schon 1933 einen Militärputsch gegen die Nationalsozialisten. Die JUNGE FREIHEIT sprach darüber mit seinem Sohn Franz Freiherr von Hammerstein.
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Franz Freiherr von Hammerstein-Equord Foto: JF

Freiherr von Hammerstein-Equord, Ihr Vater war 1933 der höchste Soldat Deutschlands und ist aus Protest gegen die Machtübernahme Adolf Hitlers zurückgetreten. Ein spektakulärer Vorgang – und doch weiß man heute kaum davon.

Hammerstein: Das stimmt und ist schon erstaunlich. Wann hat es in der deutschen Geschichte so etwas schon gegeben? Mein Vater war 1930 zum Chef der Heeresleitung ernannt worden. Als sich schließlich anbahnte, daß Hitler Reichskanzler werden würde, sprach er bei Reichspräsident Hindenburg vor, um das zu verhindern.

„Für einen Offizier war das eine ungeheure Auflehnung gegen den obersten Vorgesetzten“, wie der Historiker Sven Felix Kellerhoff urteilt. Doch Hindenburg wiegelte ab, er habe nicht vor, den „böhmischen Gefreiten“ zum Kanzler zu machen und im übrigen verbiete er sich das Politisieren der Generäle.

Es ist also nicht so, wie heute oft dargestellt, daß die ganze Reichswehr geradezu nur auf Hitler wartete?

Hammerstein: Nein, es gab eine Menge Offiziere, die als gute Patrioten gegen die Nationalsozialisten waren. Und es gab immer wieder spektakuläre Fälle: Da ist nicht nur der Rücktritt meines Vaters, sondern auch der keines Geringeren als des Generalstabschefs des Heeres, Generaloberst Ludwig Beck, der gegen Hitler opponierte und 1938 aus Protest gegen dessen Kriegsabsichten seinen Abschied nahm. Oder gar die Pläne seines Nachfolgers Generalleutnant Franz Halder zum Sturz des Diktators im gleichen Jahr – sieben Jahre vor dem 20. Juli! Auch wenn sie wegen der Entwicklung in der Sudetenkrise nicht zur Ausführung kamen.

„Die Reichswehr in Marsch setzen, um Deutschland zu retten“

Bevor Ihr Vater 1933 resignierte und zurücktrat machte das Gerücht die Runde, er selbst plane einen Putsch, um Hitler zu verhindern.

Hammerstein: Ja, aber das blieb ein Gerücht. Mein Vater drang damals zwar in Reichskanzler von Schleicher, den Reichsnotstand auszurufen, die Reichswehr in Marsch zu setzen, Hitler zu verhaften und gestützt auf das Militär zu regieren, doch obwohl von Schleicher der Analyse meines Vaters zustimmte, blieb es bei dieser Unterredung. Später sah mein Vater ein, hätte man Hitler so verhindert, wäre es „zum Generalstreik, wenn nicht zum Bürgerkrieg“ gekommen.

Aus dieser Sicht war Hitler also nicht das Produkt von Militär und Eliten, sondern der Demokratie – gegen die aufzulehnen auch die Reichswehr nicht die Macht hatte?

Hammerstein: Mein Vater fürchtete das in der Tat ganz besonders: Daß die Truppe am Ende auf die eigenen Landsleute schießen müßte. Das war für ihn unvorstellbar!

Die Tageszeitung „Die Welt“ urteilte 2007 über Ihren Vater: „Der seinerzeit höchste Offizier der preußisch-deutschen Reichswehr als Anführer eines Staatsstreiches? – Es ist unverständlich, daß bisher noch niemand umfassend über diesen General geschrieben hat.“

Hammerstein: Das stimmt, bis schließlich 2008 kein Geringerer als Hans Magnus Enzensberger mit großem Echo sein Buch „Hammerstein oder der Eigensinn“ über meinen Vater veröffentlichte. Allerdings handelt es sich dabei um eine literarische Annäherung. Eine gültige geschichtswissenschaftliche Darstellung fehlt bis heute.

Warum war Ihr Vater gegen Hitler?

Hammerstein: Er ahnte, daß Hitler Krieg bringen würde. Obwohl er es ebenso für möglich hielt, daß Hitler auch nur ein Reichskanzler unter vielen bleiben könnte. Denn man glaubte damals ja allgemein, die Regierung Hitler trete – wie all die Kabinette davor – schon bald gescheitert wieder ab. >>

Erstaunlich ist, daß Ihr Vater durchaus republikanisch gesinnt war.

Hammerstein: Das stimmt. Nicht nur mein Vater war ja ein bekannter Militär, sondern auch mein Großvater, General Walther von Lüttwitz, Anfang 1920 Chef der Reichswehr. Der unternahm im März dieses Jahres zusammen mit dem konservativen Beamten Wolfgang Kapp den bekannten Kapp-Lüttwitz-Putsch zur Wiedererrichtung der Monarchie. So hat mein Großvater damals meinen Vater verhaften lassen, weil der zur legitimen demokratischen Regierung hielt. Als der Putsch dann aber an einem Generalstreik scheiterte, war es umgekehrt und mein Großvater mußte fliehen.

Wie genau war die politische Ausrichtung Ihres Vaters?

Hammerstein: So genau kann ich das gar nicht sagen, denn Offiziere durften damals nicht wählen, um ihre politische Neutralität zu garantieren. Sicher war mein Vater Patriot. Zumindest patriotischer als wir es heute sind, wo dieses Wort ja beinahe etwas Ungewohntes geworden ist. Aber er war auch ein liberaler Mensch. Manche meinen, sein Spitzname „der rote General“ erkläre sich damit, daß er den Gewerkschaften nahegestanden habe.

Aber mir ist nicht bekannt, daß er da spezielle Sympathien hatte. Der Name rührte vielmehr daher, daß er in den zwanziger Jahren zuständig war für die Reichswehr-Rüstungsprojekte in Rußland und sich deshalb öfter in der Sowjetunion aufhielt.

Ihr Vater betrieb also die heute heftig verurteilte geheime Aufrüstung der Reichswehr. Warum?

Hammerstein: Auf keinen Fall weil er eine Armee wollte, die einen Angriffskrieg führen würde. Aber er wollte eine Reichswehr, die Deutschland verteidigen konnte. Und das ging nun mal mit dem 100.000-Mann-Heer des Versailler Vertrages nicht.

„Er war persönlich eher republikanisch gesinnt”

Seine politische Umgebung waren der konservative Kurt von Schleicher, der monarchisch-katholische Heinrich Brüning, Carl Goerdeler, der im 20.-Juli-Kreis für Großdeutschland votierte, und der ehemalige kaiserliche General und Reichswehrminister Wilhelm Groener.

Hammerstein: Ja, und doch war er persönlich eher republikanisch gesinnt.

Das heißt, die konservativen Eliten haben einen bekennenden Republikaner zum Chef der Reichswehr gemacht? Widerspricht das nicht eklatant dem Bild der notorisch reaktionären Reichswehr, das wir heute haben?

Hammerstein: Dennoch, es war so.

Der Historiker Walter Görlitz nannte Ihren Vater einen „Junker und Grandseigneur“.

Hammerstein: Junker, na ja, von der Haltung her vielleicht, aber unter Junker stellt man sich ja ostelbische Gutsbesitzer vor. Die Hammersteins allerdings sind aus dem Hannoverschen und auch keine Landbesitzer. Ein Grandseigneur war er aber auf jeden Fall.

Bei Ausbruch des Krieges 1939 wurde Ihr Vater reaktiviert, er soll sofort erneut konspiriert und die Verhaftung Hitlers bei einem Besuch an der Westfront erwogen haben.

Hammerstein: Jedenfalls ist es nie dazu gekommen, auch weil Hitler den geplanten Truppenbesuch schließlich gar nicht machte. Mein Vater hatte aber weiter Kontakte zu den Kreisen, die schließlich die Erhebung vom 20. Juli 1944 unternahmen. Da er aber leider 1943 an Krebs starb, war er an alldem nicht mehr beteiligt. Ich denke, wenn er gerufen worden wäre, hätte er zur Verfügung gestanden. Ob er allerdings gerufen worden wäre, ist Spekulation, denn er war ja inzwischen schon alt geworden. >>

Ihre beiden Brüder dagegen – dekorierte Front­offiziere – gehörten zum 20. Juli.

Hammerstein: Ja, wobei mein Bruder Kunrat für den ersten Aufstandsversuch am 15. Juli zur Verfügung stand. Da dieser jedoch abgeblasen wurde, kam Kunrat nicht zum Zuge, und am 20. Juli war er dann nicht in Berlin. Ludwig dagegen gehörte zu dem Kreis junger Offiziere, die sich als Ordonnanz für die Männer um Stauffenberg im Berliner Bendlerblock – also der Kommandozentrale der Erhebung gegen Hitler – zur Verfügung zu halten hatten.

In seinem Buch „Spähtrupp“ beschreibt Kunrat 1963, nach den Schilderungen Ludwigs, wie schließlich der Aufstand im Feuer hitlertreuer Offiziere zusammenbrach, die den Bendlerblock stürmten und Stauffenberg verhafteten. Zu den wenigen, die von dort mit knapper Not entkommen konnten, gehörte Ludwig. Wie Kunrat mußte er, von der Gestapo gesucht, bis zum Ende des Krieges untertauchen.

Sie dagegen kamen in Sippenhaft.

Hammerstein: Ich wurde abgeholt, in Einzelhaft monatelang verhört und nachdem sich herausstellte, daß ich nichts über meines Bruders Verbleib wußte, mit anderen Sippenhäftlingen in einem großen Konvoi nach Buchenwald und Dachau gebracht.

Die Nationalsozialisten hatten angekündigt, die Familien des 20. Juli auszulöschen.

Hammerstein: Ja, aber das haben sie dann nicht gemacht. Ich bin sogar vergleichsweise gut behandelt worden, keine Schläge oder Folter – allerdings wurden wir heftig bedroht. In Buchenwald wurden alle Sippenhäftlinge getrennt von den übrigen KZ-Insassen untergebracht und vergleichsweise gut behandelt. Es war seltsam, denn unsere SS-Wachen kannten die Drohung, alle auszulöschen. Warum die Nationalsozialisten dann doch darauf verzichtet haben, weiß ich nicht.

Als dann die Front näher kam, wurden wir evakuiert und schließlich auf dem Marsch durch US-Truppen befreit. Übrigens, mein damaliger Arbeitgeber, eine Maschinenbau-Firma, hatte sich nach meiner Verhaftung nachdrücklich für mich eingesetzt. Es hat zwar nichts genützt, aber es ist doch interessant, daß man zu mir stand und sich nicht in Empörung von mir abwandte. Zivilcourage war damals doch verbreiteter, als wir uns das heute meist vorstellen.

„Es ging darum, Deutschland zu retten”

Welche politischen Ideen bewegten Ihre Brüder, sich am 20. Juli zu beteiligen?

Hammerstein: Es ging nicht um Politik, sondern darum, Deutschland zu retten.

War es die Verfolgung der Juden?

Hammerstein: Sie müssen verstehen, man hat das mit dem Holocaust damals noch gar nicht so genau gewußt. Ich glaube deshalb nicht, daß das für meine Brüder entscheidend war. Um was es ging, war den Krieg zu beenden und den Diktator zu beseitigen, um Deutschland vor dem Untergang zu bewahren, seine Zerstörung und Besetzung durch den Feind zu verhindern und das Land vom Nationalsozialismus zu befreien. Mein Bruder Ludwig schrieb am 5. September 1939: „Dieser Krieg ist als ein Verbrechen zu bezeichnen, in dem wir alle untergehen werden.“

Für Sie wurde die Schuld der Judenverfolgung bestimmend: Sie haben die „Aktion Sühnezeichen“ mit aufgebaut und jahrelang geleitet.

Hammerstein: Man war ob der NS-Verbrechen beschämt und wollte wiedergutmachen. Wir wollten für Deutschland wieder Vertrauen gewinnen, damit unser Land einen Weg zurück in den Schoß der europäischen Volker finden könnte. Aber das war damals nicht so einfach. In Polen zum Beispiel wollte man zunächste keine Deutschen, auch keine, die kamen, um wiedergutzumachen. Wir haben deshalb in Norwegen und Holland angefangen, wo es Leute gab, die bereit waren, unsere ausgestreckte Hand zu akzeptieren. Später kamen Frankreich, England und Israel dazu und dann Osteuropa. >>

Haben Sie später mit Ihren Partnern in Polen auch über die Verbrechen der Polen im Zuge der Vertreibung gesprochen?

Hammerstein: Ja, das war mitunter auch Thema, im Mittelpunkt standen für die Polen aber immer Auschwitz und die Verbrechen  der Nationalsozialisten.

Der Schriftsteller Martin Walser hat 1998 in seiner Paulskirchenrede beklagt, daß die Aufarbeitung der NS-Schuld inzwischen zu einer Art Schuldkult, einer „Dauerpräsentation unserer Schande“ umgeschlagen sei. Sehen Sie in diesem Licht heute die Arbeit der „Aktion Sühnezeichen“ kritischer?

Hammerstein: Ich muß zugeben, daß ich mich nie genau mit der Rede Walsers beschäftigt habe, aber mir erscheint seine Kritik unsinnig. Ich kann diese Analyse nicht teilen. Ich sehe eher, daß die „Aktion Sühnezeichen“ mitgeholfen hat, die Schuld abzutragen.

„Aktion Sühnezeichen“ ist noch immer tätig. Wie lange hält die deutsche Schuld noch an?

Hammerstein: Ach, das ist eine philosophische oder theologische Frage. Wer vermag das zu beantworten?

Hat die heutige Generation junger Deutscher nicht eine Antwort auf diese Frage verdient?

Hammerstein: Das stimmt schon. Aber ich merke: Wenn ich zum Beispiel heute eine junge „Aktion Sühnezeichen“-Gruppe in ein Projekt einweise, dann steht viel mehr das Projekt an sich als der Aspekt der Schuldaufarbeitung im Vordergrund, als das früher der Fall war. Da hat sich schon viel verändert.

Wie wichtig ist der 20. Juli für die jungen Deutschen von heute?

Hammerstein: Das Opfer der Männer des 20. Juli darf nicht in Vergessenheit geraten. Und für unsere Jugend ist es deshalb so wichtig, weil der 20. Juli ihnen als Vorbild dienen kann und ihnen die Möglichkeit gibt, sich wieder mit ihrem Land und seiner Geschichte zu versöhnen. 

Dr. Franz Freiherr von Hammerstein-Equord ist der Sohn des ehemaligen Reichswehrchefs und Hitler-Gegners Kurt von Hammerstein-Equord, Jahrgang 1878, und Bruder der beiden Angehörigen des 20. Juli 1944 Kunrat, Jahrgang 1918, und Ludwig, 1922, von Hammerstein-Equord. Nach dem Zweiten Weltkrieg war der evangelische Theologe, geboren 1921, Mitbegründer der Aktion Sühnezeichen Friedensdienste, der er von 1968 bis 1975 als westdeutscher Generalsekretär vorstand. Das Interview entstand mit freundlicher Unterstützung seiner Schwester Hildur Zorn.

Generaloberst Kurt Freiherr von Hammerstein-Equord: Der dekorierte Offizier des Ersten Weltkriegs aus traditionsreicher deutscher Soldatenfamilie wurde 1930 auf Betreiben von Reichswehrminister Wilhelm Groener und Reichskanzler Heinrich Brüning zum Chef der Heeresleitung, dem militärischen Oberbefehlshaber der Reichswehr. Später gehörte er zur politischen Umgebung Reichskanzler Kurt von Schleichers. 1933 trat er aus Protest gegen Hitler zurück.

JF 30/09

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