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„Jenseits jeder Frischluft“

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Herr Henscheid, haben Sie eigentlich wenigstens ein ordentlich schlechtes Gewissen? Henscheid : Ein ordentlich und sogar unordentlich schlechtes habe ich! Weil, wer heute in der JUNGE FREIHEIT veröffentlicht oder dem Blatt auch nur ein Interview gibt, seiner – in meinem Fall aber kleinen – Familie schadet, sie im Prinzip verhungern läßt! Gut, daß ich ein bißchen gespart habe. Sie tun es schon wieder! Henscheid : Nicht zu vergessen, unlängst habe ich zudem Ihren „Apell für die Pressefreiheit“ unterschrieben. Warum nur, warum? Henscheid : Das frage ich mich auch … Dabei waren Sie doch mal ein „vernünftiger Linker“, wie neulich die linke Wochenzeitung „Jungle World“ ob Ihrer Unterschrift nachtrauernd festgestellt hat. Henscheid : Die Süddeutsche Zeitung habe ich damit offenbar auch verwirrt. Immerhin billigt sie mir aber trotz meiner Unterschrift – wenn auch kopfschüttelnd – noch das Prädikat „eher links“ zu. Daß sich Arnulf Baring, Joachim Fest, Helmut Markwort oder Wolf Jobst Siedler für die Pressefreiheit der JUNGE FREIHEIT eingesetzt haben, hat nicht für halb soviel Kopfschütteln gesorgt wie Ihre Unterschrift. Henscheid : Ich habe feststellen müssen, daß selbst gute Freunde in der Regel keine Ahnung haben, worüber sie eigentlich den Kopf schütteln. Das war schon 2002 anläßlich der Walser-Reich-Ranicki-Bubis-Möllemann-Sache und meines JF-Interviews eben dazu zu studieren (JF 24/02). Es gab Folgen, zum Teil nicht unbedenkliche. Nämlich? Henscheid : 2003 etwa sollte ich als Referent von einer Adorno-Gedenkjahrveranstaltung wieder ausgeladen werden, von einer Hannoveraner Kleingruppe wildgewordener Aufpasser und Puritätsvertreter. Eigentlich typologisch Denunzianten. Das erinnert manchmal an Stil und Mentalität römisch-katholischer Inquisitions- und Indexkongregationen und deren Informanten … Moment! Nichts gegen die Kirche an dieser Stelle! Henscheid : Wie ihre Schwarzkittel-Betbrüder haben sie alles, nur keine Ahnung. Dafür ausreichend bösen Willen zur Verurteilung. Nun bin ich mit der JUNGE FREIHEIT ja noch nicht ganz verheiratet, aber seit drei Jahren immerhin Ihr Freiabonnent – im Unterschied zu den allermeisten Meinungshabern und Mitquatschern weiß ich also ungefähr, wovon ich rede. Also? Henscheid : Rechtskonservativ, aber nimmermehr rechtsradikal würde ich Ihr Blatt taxieren. Aber darum ging es ja bei der Leipzig-Unterschrift gar nicht. Sondern um gleiches Recht und vor allem: um Pressefreiheit. Womit wir beim Thema wären. Ist doch alles ganz einfach: 1854 ging’s bei uns mit der ersten Fixierung der Pressefreiheit in einem Bundesgesetz los und seitdem langsam, aber stetig aufwärts – abgesehen von brauner und roter Diktatur. Und dank „Spiegel-Affäre“ ist heute die „Krone der Schöpfung“ erreicht. Was haben Sie da zu meckern? Henscheid : Die – eigentlich – „Strauß-Affäre“ 1962 sah zu Recht alle Linken und viele Konservative geschlossen vor oder hinter – wie Sie wollen – dem Hamburger Magazin. Auch wenn Augstein, Ahlers und Konsorten alles andere als Heroen oder gar Linke waren. Inzwischen sind die tempora dauernd mutantur – und vor allem die politischen Linien und Kreuzungen. Damals ging es um die angeblich junge Demokratie – jetzt um eine stark angegammelte und recht krause. Immerhin: Selbstverständlich hätte ich im Fall Leipziger Buchmesse auch geschlossenen Auges für Konkret unterzeichnet … Wir auch. Henscheid : … obwohl auch das nicht gerade mein Hausblatt ist. Früher wars einfach, als es noch die königlich-preußische Zensur und die schöne Einrichtung des Sitzredakteurs gab. Da war klar, wo geschnippelt und gesessen wird, da herrscht Zensur. Heute aber funktioniert’s – zum Glück oder Unglück – feiner, über die Political Correctness. Henscheid : Das Thema PC ist mir persönlich ein bißchen langweilig geworden – „Zensur“ für heutige Verhältnisse zu groß. Ich vermute, das kleinere, vielleicht auch schon größere Thema rund um das Wesen oder Unwesen JUNGE FREIHEIT ist die moderne Verwirrung, Desinformiertheit – das, wo-rüber eine Woche vor Hitlers Machtergreifung Tucholsky klagte: dies „Nebeneinanderdenken Aneinandervorbeireden“ – zum teil aus Absicht, aus Profession. Weil gescheitere Themen respektive Feinde kaum mehr zu erspähen sind. Dennoch, was hat es eigentlich mit der „Political Correctness“ auf sich? Der Verfassungsschutz etwa, der offenbar keine Feuilletons liest, tut ja bevorzugt so, als sei sie eine reine Erfindung von finsteren Verschwörern, um die freiheitlich verfaßte Gesellschaft und ihre demokratische Wehrhaftigkeit zu unterminieren. Henscheid : Wenn ich mir da die Galionsfiguren anschaue und anhöre, dann handelt es sich um die altbewährten Gutmenschen, mehr noch aber um Opportunisten, Karrieristen. Ich sag nochmal den Namen Thierse und seinen im Verein mit Schröder seit Jahr und Tag todesmutig geführten „Kampf gegen Rechts“: ein Reklame- und Gratis-Selbstläufer mit dem halbgeplanten Ziel der Totaldesinformation und Verblödung. Jüngst stand in der „Zeit“ was Drolliges: Da wurde der Tatbestand der Political Correctness einfach mit dem Ausdruck „Politische Redlichkeit“ sozusagen „übersetzt“. Henscheid : „Redlichkeit“ ist auch sehr gut. Mir gefällt aber der „politische Anstand“ der Luise Rinser beziehungsweise der altbewährte „Aufstand der Anständigen“ (schon wieder Thierse) doch noch besser. Fraglos anders als die von Lafontaine bemäkelten Helmut Schmidtschen „Sekundärtugenden“ ist der von Himmler einst eingeforderte „Anstand“ eine überaus „primäre“. „Nützlicher Idiot des deutschen Tabubruchs“ Jetzt sagen Sie uns aber doch mal, warum so viele „Linke“ – von denen man als Konservativer denkt: aber bei der Selbstkritik und den universalen Grundsätzen, da sind sie uns tatsächlich überlegen – warum die nicht kapieren, daß Grundrechte wie die Pressefreiheit unteilbar sind? Henscheid : Zuweilen galt ich (obwohl ich ja eigentlich von Haus auf Verfasser biederer Romane bin) in den letzten 35 Jahren als ein „Wortführer der Linken“, womit ich zweifellos überfordert war; zuletzt, wie gesagt, als „eher links oder linksliberal“; aber auch damals schon ein paarmal als „Stalinist“ mit andererseits „Nazimethoden“ im „Stürmerstil“, dann etwa, wenn ich ein paar Aufklärer des linken Milieus als Witzfiguren vorführte. Also eine recht schillernde Gestalt. Henscheid : Nachdem ich aber neuerdings von der Berliner Zeitung, die es ganz genau weiß, dem Fach „Rechte und ganz Rechte“ zu geordnet werde, übersteigt Ihre Frage meine Kräfte. Zumal es die als liberal geführte Zürcher Wochenzeitung es noch genauer weiß und mich wegen meiner JF-Hilfe nämlich durchschaut hat als einen „nützlichen Idioten des deutschen Tabubruchs“. Und das gefällt Ihnen jetzt? Henscheid : Ich weiß nicht, denn mir ist nicht ganz klar, was das nun wieder Glorioses sein mag? Von wegen Meinungsfreiheit: Der Journalist und Schriftsteller Michael Klonovsky meint, Bezugsrahmen unseres öffentlichen Diskurses sei nicht die Freiheit, sondern „die tägliche schwarze Messe“ um den „toten Mann aus Braunau“. Na, das hieße ja, „damals“ war die Meinung nicht frei wegen Hitler, heute ist die Meinung nicht frei – wieder wegen Hitler. Henscheid : Da will ich dem Kameraden Klonovsky kaum widersprechen. Wie, das war jetzt alles? Henscheid : Das war jetzt alles. Gut, dann definieren Sie das mal: „Pressefreiheit“! Henscheid : Bei Paul Sethe war das vor vierzig Jahren noch klar: die Freiheit von 200 reichen Leuten, ihre Meinung zu verbreiten. Ich kann da bescheidener nur für mich sprechen: meine Meinung da drucken zu lassen, wo unsere demokratischen PC-Aufpasser wieder bestimmt was dagegen haben. Für den Hausgebrauch in Ordnung, „ganz global gesehen“ aber ein bißchen dünn. Henscheid : Gut, ich definiere ex negativo und für den konkreten Fall in Leipzig: Heute findet bei uns das Thema Pressefreiheit nicht mehr abstrakt als Pro und Contra statt – sondern mehr im Verborgenen, fast Verhuschten. Und durchaus Unfeierlichen, manchmal Widerwärtigen. Das Thema, das Doppelthema JUNGE FREIHEIT ist einerseits ein schreckliches Belaurer- und Denunziantenwesen nun wirklich fast „im Gestapostil“, als Freiheitskontrolle genuiner Dossieranleger, oft übrigens im Zusammenhang mit dem Internet und seinen Parallelwelten, sogenannten Chatrooms und Geschwätzstammtischen – meist jenseits jeder Frischluft und Realität. Zweitens aber und damit untrennbar: im Zuge fortschreitender Desinformiertheit bei dauernder Vermehrung der Informationsquellen. Was wollen Sie – im Zusammenhang der akuten Leipzig-JF-Sache – machen gegen eine Süddeutsche-Interviewerin, die ausgerechnet den Kern der Sache noch nicht spitzgekriegt hat? Daß nämlich das Blatt mit einem gewissen Recht feiern will, weil es nämlich seit 2005 laut Bundesverfassungsgericht nicht mehr rechtsradikal ist – die Dame wähnte genau das Gegenteil. Oder was gegen einen der üblichen Kommentatorenwurstl der taz, der dem „Drecksblatt“ (gemeint war die JF) ungescheut eine „Relativierung des Holocausts“ vorwirft, obwohl offenbar auch hier das Gegenteil wahr ist: der JF-Hochhuth-Interviewer vom Februar 2005 hakte geradezu pflichteifrig nach, daß David Irvings Holocaustleugnung eben kein Kinkerlitzchen sei. Semper aliquid haeret – irgendwas bleibt immer hängen -, aber garantiert immer das Falsche! Mir ist das bei meinen Böll-Gerichtsstreitigkeiten 1991 zum erstenmal begegnet und seither bestens bekannt: Keiner hatte forensisch und vorforensisch irgendeine Ahnung von Böll und seinen Quatschromanen – außer mir; konsequenterweise wurde ich genau dafür bestraft. Übrigens gefällt mir auch nicht, wie Joachim Fest seine Pro-JF-Unterschrift im nachhinein kommentiert hat: So gut wie nichts sage ihm an dem Blatt zu – er lese es aber auch nicht. Ja, was denn nun? Ich weiß es immerhin ein bißchen besser. Gibt’s Ihrerseits auch Kritik an der JF? Henscheid : Mir mißfällt am Blatt manches an personeller Struktur, kurz: an alten Kameraden und ewiggestrigen Seilschaften. Sehr gefallen mir dagegen viele Analysen grünökologischer Gaunerfiguren, die fast allesamt in FAZ, Frankfurter Rundschau und sogar Konkret stehen könnten. Ist ja auch kein Wunder. Nicht wenige Mitarbeiter des Blatts sind wohl so was wie linke Renegaten, ehemalige Bloch-, Marcuse- und Adorno-Schüler. Tragisch, aber wahr: da passe ich ja dann wirklich nicht so schlecht dazu. Der Sozialphilosoph Günter Rohrmoser sagt, totale Pressefreiheit gibt’s nicht, kann’s nicht geben und soll es auch gar nicht geben. Gesellschaft braucht auch Tabu. Henscheid : Da will ich auch Rohrmoser kaum widersprechen. Auch da nicht, wo er im Interview mit Ihnen vor zunehmendem Lagerdenken nach wiederum der Marschroute Political Correctness warnt; vor einer „Gesinnungsfront der Journalisten“, die auch ich unfroh wahrnehme. Obwohl ich da als freier Schriftsteller natürlich fein raus bin – weitgehend. Wie kriegen wir also das Dilemma „Pressefreiheit contra Verantwortung“ in den Griff? Henscheid : Die Jahrhundert-Probleme kann ich Ihnen auch nicht lösen. Ich kann nur anmerken, daß das Wissen, die Genauigkeit der Information in den Köpfen offenbar kurz- und langfristig nicht vermehrbar ist. Darüber klagen im Mozartjahr die Mozartforscher und bejammern die immer gleichen und idiotischen Falschklischees – darüber wunderten sich 2005 im Einsteinjahr die Einsteinverständiger. Daß im Einsteinjahr über die ikonographisch spektakulär herausgestreckte Zunge hinaus das Wissen um die Relativitätstheorie auch nicht um ein Prozent zunahm – da ist wohl genetisch und zerebral beim Menschengeschlecht nichts drin. Daß die Linke, das früher sogenannte und ja nur noch sehr dosiert spürbare linksliberale Milieu, denen beiden ich ja wohl doch immer noch angehöre, nicht zu den präzisesten Denkstationen der Nation gehören, leuchtet trotz Hegel, Marx und Adorno leicht ein. Es ist viel Rumor in den Köpfen, lehrte Hegel – heute vor allem: viel Wischiwaschi und Larifari. Das ist bedrückend. Alles ist in der spätpermissiven Gesellschaft irgendwie erlaubt und durchgängig, nur eins nicht, nicht einmal für die nützlichen Tabubruchs-Idioten: ein kleines rechtes, nationalkonservatives, eben nicht rechtsradikales Blatt. Irgendwie hat es die gesamten Funktionen des schwarzen Schafs, des Sündenbocks, der negativen Integrationsfigur übernommen, die scheint’s jede Humanität wohl alle drei irgendwo nötig hat. Nicht der Papst, nicht seine vergammelte Kirche, nicht der tägliche Bild-Zeitungs-Dreck, nicht mal Rest-NPD und Republikaner. Sondern halt: die JUNGE FREIHEIT. Als kleinster gemeinsamer Nenner aller Abscheuwilligen. Sei’s drum. Heroisch ist’s nicht gerade, zu ihr zu halten. Aber offenbar, wenn man selber dem linken Milieu angehört, etwas beschwerlich. Von einem von beiden muß ich mich wohl oder übel verabschieden. Eckhard Henscheid der Schriftsteller, Essayist und Satiriker unterschrieb zusammen mit zahlreichen weiteren Prominenten den „Appell für die Pressefreiheit“ vom 8. Februar in der FAZ gegen den politisch motivierten Ausschluß der JUNGE FREIHEIT von der Teilnahme an der Leipziger Buchmesse 2006, der ein bundesweites Medienecho hervorrief. Henscheid gilt neben Robert Gernhardt und F.K. Waechter als Mitbegründer der „Neuen Frankfurter Schule“. Er verfaßte zahlreiche Romane, Gedichte und Polemiken und schrieb in allen großen deutschen Blättern von der FAZ bis zur Zeit und auch in Konkret oder dem Satiremagazin Titanic, das er 1979 als Nachfolger der Zeitschrift Pardon mitgegründet hat. Außerdem machte er sich als Literatur-, Kunst- und Musikkritiker einen Namen. Derzeit arbeitet er an seiner Werkausgabe, von der bislang sieben Bände erschienen sind (Zweitausendeins). Geboren wurde er 1941 in Amberg in der Oberpfalz. Foto: Eckhard Henscheid: „Alles ist in der spätpermissiven Gesellschaft irgendwie erlaubt, nur eins nicht, die JUNGE FREIHEIT“ weitere Interview-Partner der JF

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