Herr Lanz, der US-Rüstungskonzern United Defense hat unlängst den schwedischen Waffensystemhersteller Bofors gekauft, die amerikanische Bank One den deutschen U-Boot-Bauer HDW und deren Landsleute von General Dynamics die spanische Panzerschmiede Santa Barbara Blindados. Zuletzt wechselte die italienische Militärflugzeugfirma Fiat Avio in den Besitz der Washingtoner Carlyle-Fondsgruppe – deren Tochter übrigens die United Defense ist -, was europaweit Kritik hervorgerufen hat. Der Kauf der Münchner MTU Aero Engines – ebenfalls durch Carlyle -, die am Bau der Triebwerke für den Eurofighter sowie den Militärtransporter A 400 M beteiligt ist, ist schon so gut wie beschlossen. Alles kein Grund zur Besorgnis, wie der Verteidigungspolitische Sprecher der CDU/CSU-Fraktion im Deutschen Bundestag, Christian Schmidt, in einem Presseinterview, meinte? Lanz: Nein, im Gegenteil: Jede Armee, die von einer fremden Rüstungsindustrie abhängig ist, ist eine Armee zweiter Klasse. Warum? Erstens, weil – und das zeigen unsere Erfahrungen mit in Amerika eingekauften Rüstungsgütern – man nur Waffensysteme zweiter Wahl bekommt, da die USA darauf bedacht sind, ihren technologischen Vorsprung zu erhalten. Zweitens, weil man sonst manipulierbar ist. Schließlich ist die Armee Ausdruck und Garant der Souveränität eines Staates. Daher ist es nicht hinnehmbar, wenn diese Institution von der Versorgung durch eine Industrie abhängig ist, die sich im Besitz ausländischer Firmen befindet. Leider fällt es uns Deutschen aufgrund der Verstörtheit infolge des Zweiten Weltkrieges schwer zu begreifen, daß Waffen- und Ausrüstungshersteller der Bundeswehr als strategische Industrie betrachtet werden müssen, bei der die volkswirtschaftliche Bedeutung zweitrangig ist. Normalisierung tut Not, da nur, wer über das strategische Potential einer unabhängigen Rüstungsindustrie verfügt, in der Lage ist, international ein Wörtchen mitzureden. Eine der Sparten, in der Deutschland international führend ist, ist der Bau taktischer U-Boote. Bedeutet der Verkauf des U-Boot-Bauers HDW also die Preisgabe einer Spitzenposition an die Amerikaner? Lanz: Solange die Gestaltung der Unternehmenspolitik und die Produktion noch in Deutschland stattfinden, ist HDW trotz des Verkaufs, „politisch“ gesehen noch in unserer Hand. Der stellvertretende Verteidigungspolitische Sprecher der Union, Hans Raidel, spricht allerdings im Interview mit dieser Zeitung durchaus von der „Gefahr, in einem schleichenden Prozeß unser wehrtechnologisches ‚Know-How‘ an die US-Konkurrenz zu verlieren“. Lanz: Grundsätzlich ist das richtig, und auch ich sehe den Verkauf der HDW mit Besorgnis, aber durch entsprechende Vereinbarungen ist diese Gefahr zumindest für die nächsten zehn Jahre ausgeschlossen, und danach bleibt die Beteiligung anderer deutscher Firmen an HDW für die US-Konkurrenz ein Hindernis. Der Aufkauf von Bofors und Santa Barbara Blindados durch US-Firmen hat besondere Bedeutung, wenn man bedenkt, daß beide Hersteller den deutschen Kampfpanzer Leopard 2 in Lizenz bauen, der wiederum der schärfste Konkurrent des amerikanischen Kampfpanzers M1 „Abrams“ ist. Muß dieses Manöver ergo als Zangenangriff auf die deutsche Panzerindustrie verstanden werden? Lanz: Da bin ich skeptisch, denn allein durch den Transfer von Zeichnungen und Teilaufträgen in die USA gewinnt man noch nicht das notwendige Know-How, um ein solch komplexes Fahrzeug wie den Leopard 2 zu bauen. Tatsächlich liegt unsere Stärke aber vor allem in der zweiten und dritten Ebene, sprich bei den mittelständischen Rüstungsbetrieben. Dort finden die meisten Innovationen im Bereich Antrieb, Getriebe, Nachtsicht und Waffentechnik für unsere Panzer-Produktion statt. Und dieses Segment ist auch weiterhin fest in unserer Hand. Dennoch wäre natürlich der Verkauf der beiden großen deutschen Panzerhersteller Rheinmetall und Kraus-Maffei Wegmann verhängnisvoll. Gehen die Amerikaner bei ihrer Aufkauf-Strategie tatsächlich nur rein marktwirtschaftlich vor? Lanz: Boeing etwa hat sich jüngst in Berlin eine europäische Repräsentanz geschaffen, das tut man natürlich nicht, wenn man nicht etwas vor hat. Ob dahinter aber ein politisches Kalkül steckt, möchte ich bezweifeln. Im Aufsichtsrat der Carlyle-Gruppe sitzen nicht nur ehemalige US-Spitzenpolitiker wie der Ex-Außenminister James Baker oder Ex-Verteidigungsminister Caspar Weinberger, sondern auch George Bush sen., Vater des jetzigen Präsidenten. Es führt also ein direkter Weg von Carlyle ins Weiße Haus. Lanz: Carlyle ist kein originäres Rüstungsunternehmen, sondern eine Investment-Firma, die sich auf Rüstungsindustrie spezialisiert hat. Gleichwohl sind politische Hintergründe, besonders angesichts des derzeitigen politischen Personals im Weißen Haus, nicht auszuschließen. Dennoch möchte ich vor Verschwörungstheorien warnen, ebenso aber auch vor der typisch deutschen Blauäugigkeit. Hoffnung macht, daß es nun immerhin erst Mal eine Diskussion in der Bundesregierung gibt, die Rüstungsindustrie eventuell doch unter besonderen Schutz zu stellen. Also eine zarte Besinnung auf die Notwendigkeit nationaler Selbständigkeit als Voraussetzung jeder Souveränität? Lanz: Ja, ein Silberstreif am Horizont. In Deutschland kann sich bislang jeder ohne weiteres in einen Rüstungsbetrieb einkaufen – eine rein kaufmännische Angelegenheit. In den USA dagegen braucht man dazu die Genehmigung gleich dreier Ministerien – die Amerikaner sind sich eben der strategischen Bedeutung dieser Industrie bewußt. Insofern bedeuten die derzeitigen zaghaften Überlegungen im Kanzleramt eine grundlegende Verbesserung gegenüber der früheren Bundesregierung, die von der Rüstungsindustrie nie auch nur Notiz genommen hat und der Bundeswehr am Ende mit Volker Rühe auch noch einen richtigen „Demolator“ bescherte. Ist die Bundesregierung mit ihren immer tieferen Einschnitten ins Verteidigungsbudget überhaupt in der Lage, eine unabhängige Verteidigungsindustrie aufrechtzuerhalten? Lanz: Statt „Bundesregierung“ sollten sie lieber „Deutschland“ sagen, denn seit dem Ende der Herausforderung durch den Warschauer Pakt ist die heimische Nachfrage in der Tat zu gering. Neue Wege müssen beschritten werden, etwa die Spezialisierung einzelner Firmen und Staaten auf bestimmte rüstungstechnische Teilbereiche, um so im europäischen Verbund die Eigenständigkeit der europäischen Staaten in Konkurrenz zu den USA, Rußland, etc. zu garantieren. Auch wenn wir so nicht auf allen Gebieten Spitzenprodukte bieten können – was sowieso nicht mehr der Fall ist -, so garantiert doch die Produktion von Spitzenprodukten in gewissen Sparten, daß wir diese gegen Spitzenprodukte anderer Staaten quasi eintauschen können und nicht mit Waffensystemen zweiter Klasse abgefertigt werden. Grundsätzlich gibt es zwei Wege für den Erhalt der europäischen Rüstungsindustrie: Kooperation und Fusion. Während wir auf dem Feld der Heeresrüstung noch kaum das Stadium der Kooperation erreicht haben, sind wir im Bereich der militärischen Luftfahrt mit dem Zusammenschluß der französischen Aerospatial, Teilen der britischen BAE, der deutschen Dasa sowie der spanischen Casa zum europäischen Luft- und Raumfahrtkonzern EADS, schon im Stadium der Fusion. Dem Schritt zur Fusion im Bereich Luftfahrt ging der Schritt der Kooperation – etwa durch Projekte wie den Eurofighter, Euromissle oder Eurocopter – voraus. Doch so wie aus Kooperation durch institutionelle Dynamik die Fusion folgt, droht doch der Verschmelzung zu einer europäischen Rüstungsindustrie eine Verschmelzung der nationalen europäischen Armeen zu einer Euro-Armee zu folgen? Lanz: Das wäre natürlich optimal. Bedeutete aber das Ende der nationalen Souveränität. Lanz: Ja, aber diesen Weg haben wir mit der Einführung des Euro sowieso schon beschritten. Allerdings müssen die Deutschen dann auch lernen, nicht mehr bei jedem Krieg auf einer Sonderposition zu beharren, wie etwa jüngst im Falle der Awacs-Luftraumüberwachungsflugzeuge im Irak-Krieg. Ist nicht ein Weg verstärkter europäischer Zusammenarbeit durch Kooperation möglich, ohne dadurch in den Sog der Euro-Fusion zu geraten? Lanz: Natürlich ist auch das möglich, aber dazu bedarf es eines entsprechenden politischen Willens. Doch unser politisches Ziel lautet nun einmal Europa. Will man die Nationalstaaten bewahren, müßten diese allerdings lernen, sich in Rüstungsfragen zu einigen, so daß Kooperationen nicht immer an nationalen Eitelkeiten scheitern. Hat Europa die Chance, die derzeit militärisch so überragenden USA in Zukunft einmal zu überrunden und zur führenden Rüstungsmacht der Welt aufzusteigen? Lanz: Theoretisch ja, denken Sie zum Beispiel nur an die Entwicklung der Tarnkappen-Korvette durch die schwedische Kockums-Werft – übrigens eine Tochter der HDW -, da rollen selbst die Amerikaner mit den Augen. Diese Entwicklung ist der Beweis, daß Europa grundsätzlich jederzeit auf dem ersten Ligaplatz mitspielen kann. Doch praktisch bedarf es dazu einer entsprechenden sicherheitspolitischen Notwendigkeit oder aber eines entsprechenden politischen Willens. Beides, existiert aber in Europa nicht. Foto:Tarnkappen-Korvette „Visby“ der schwedischen Kockums-Werft in Kiel: „Nur wer heute über das strategische Potential einer unabhängigen Rüstungsindustrie verfügt, ist in der Lage, international ein Wörtchen mitzureden.“ Franz Ferdinand Lanz , General a.D. 1938 in Goslar geboren, war er 1984 Referent im Planungsstab des Bundesverteidigungsministeriums, schließlich Leiter des Arbeitsbereiches Rüstung/Logistik und Berater des Ministers in allen Fragen der Rüstung, Logistik, Infrastruktur und des Betriebes der Bundeswehr. Ab 1990 war er Deutscher Militärischer Bevollmächtigter in den USA, ab 1993 wieder im Ministerium als Unterabteilungsleiter „Ausrüstung und Technologie“. Heute ist der ehemalige Brigadegeneral Präsident des „Förderkreises Deutsches Heer“. weitere Interview-Partner der JF