Daß Rußland am 9. Mai den Jahrestag seines Sieges über Deutschland feiert und seiner gefallenen Soldaten gedenkt, ist verständlich. Daß dies auch an einem Ehrenmal der Roten Armee im Herzen der deutschen Hauptstadt geschieht, mag aus deutscher Sicht bitter sein, aber auch das gehört nun mal zum Preis der Niederlage.
Nicht nachvollziehbar ist aber, warum ein deutscher Ministerpräsident, noch zumal aus einem Bundesland, das nicht zuletzt aufgrund der Sowjets mehr als 40 Jahre lang unter kommunistischer Gewaltherrschaft leiden mußte, sich an den Feierlichkeiten beteiligt und den Sieg des früheren Kriegsgegners zur „Befreiung“ umdeutet.
Denn dadurch erweist er nicht nur den Opfern der Gegner von einst die Ehre, sondern tritt gleichzeitig die Würde der eigenen mit Füßen. War doch gerade in Berlin der Einmarsch der Roten Armee für Hundertausende alles andere als ein Grund zum Feiern, sondern bedeutete – insbesondere für die zahllosen vergewaltigten Frauen und Mädchen – unendliches Leid, Vertreibung und Tod.
Mär von der „Befreiung“
Doch so würdelos Platzecks Verhalten auch ist, letztlich setzt er damit nur fort, was 1985 mit Richard Weizsäckers Mär von der „Befreiung“ offiziell auch in Westdeutschland Einzug hielt und mit der Wiedervereinigung zum gesamtdeutschen antifaschistischen Konsens wurde. Ihren bisherigen Höhepunkt hatte diese unsägliche Tradition mit der Teilnahme Gerhard Schröders am sechzigsten Jahrestag der alliierten Landung in der Normandie 2004 sowie ein Jahr später bei den Siegesfeierlichkeiten in Moskau.
Man darf gespannt sein, was deutschen Regierungsvertretern einfällt, um dieses Ausmaß an Unterwürfigkeit noch zu überbieten, wenn sich in drei Jahren das Ende des Zweiten Weltkriegs zum siebzigsten Mal jährt.