Jesus hat zu Weihnachten das Licht einer zwiespältigen Welt erblickt, die sein Ansehen bis heute stark schädigt. Alljährlich wird uns ein Christkind beschert, das für die kollektive Sentimentalität herhalten muß. Inzwischen hat sich das Kind durch Coca-Cola zum senilen Weihnachtsmann entwickelt und dient als Symbol einer Geschäftemacherei, die den Spekulatius bereits im September ausliefert.
Über diese groteske Verweltlichung des Christentums sind schon viele Satiren geschrieben worden, so daß einem zu Weihnachten nichts mehr einfällt. Außer dem, was uns die Bibel dazu sagt. Die ist im Wortlaut gar nicht so harmlos, wie uns manche zeitgeistlichen Prediger glauben machen wollen. Die moderne Verkündigung läuft auf die betuliche Phrase „seid nett zueinander“ hinaus. Und viele Christen tun so, als ob Christus nur auf die Welt gekommen sei, um eine philanthropische Organisation (mit Spendenbescheinigung) ins Leben zu rufen.
Die weltüberwindende Erlösungsbotschaft Jesu wird nicht von allen Christen fröhlich begrüßt. Dazu ist sie zu ernst. Es geht immerhin um so ernsthafte Dinge wie Sünde und Schuld, Tod und Teufel – und um das Endgericht. Diese „letzten Dinge“ haben wir weithin aus unserem Alltagsbewußtein verdrängt. Und ein Erlösungsbedürfnis meldet sich kaum mehr, außer vielleicht im Ernstfall.
Der Ernstfall ist der Normalfall
Aber der Ernstfall ist der Normalfall, jedenfalls für Christen, die diesen Namen verdienen. Die Menschwerdung Gottes hat nichts damit zu tun, die Welt, wie sie sich als Gesellschaft und Geschichte faktisch darstellt, religiös zu verklären. Freilich haben nicht wenige Theologen krampfhaft den „Anschluß“ an „die Moderne“ gesucht. Diese Phrasen kursieren immer noch, obwohl es „die“ Moderne als Einheit nie gegeben hat. „Modern“ wird seit Karl Kraus auf der ersten Silbe betont: Es modert.
Es modern inzwischen vor allem jene Theologien, die sich vom innerweltlichen Fortschrittsglauben und von den Wachstumserwartungen ihrer Zeit anstecken ließen. Sie entpuppen sich als Ideologien und sind hinfällig geworden. Menschenwürde und Menschenrechte – darunter besonders die Religionsfreiheit – würden sich, so hoffte man, von alleine weltweit durchsetzen. Dem ist leider nicht so.
In der Welt, besonders der islamischen, spielt sich – von den europäischen Medien und Mächten unter den Teppich gekehrt – das Drama einer großen Christenverfolgung ab. Und in Europa, dem Stammland der Christenheit, wird vielen Ungeborenen das Menschenrecht auf Leben vorenthalten, mit den bekannten demographischen Folgen. Christliche Politiker stehen hier auf verlorenem Posten.
Christen müssen Non-Konformisten sein
Der Entchristlichung Europas stellt Benedikt XVI. die Entweltlichung der Kirche gegenüber. Bei seinem letzten Deutschlandbesuch hat der Papst in Freiburg vor kirchlichen Mitarbeitern mit dem Programm der „Entweltlichung“ der Kirche nicht etwa deren Abschied von der Welt gefordert. Sondern im Gegenteil: Die Kirche muß sich von „dieser“ Welt distanzieren, gerade um sie besser in den kritischen Blick zu bekommen und auf sie einwirken zu können.
Die entsprechende Stelle im Römerbrief des heiligen Paulus lautet: „Paßt euch nicht dieser Welt an, sondern wandelt euch durch die Erneuerung des Geistes, damit ihr prüft, was der Wille Gottes, das Gute, Wohlgefällige und Vollkommene ist.“
Dieses „Nolite conformari“ bedeutet zunächst: Christen sind Non-Konformisten, keine Anpasser, die dem jeweils sich vordrängelnden Geist der Zeit nachlaufen, weil sie ihn mit dem Heiligen Geist verwechseln. Den Grund für diesen christlichen Nonkonformismus sieht Paulus in den dunklen Seiten, die diese Welt seit dem Sündenfall kennzeichnen: Sie ist vergänglich und kurzlebig; böse Mächte beherrschen sie, in ihr wirken Sünden und Laster, Habgier und Verblendung.
Das ist keine Schwarzmalerei des Apostels, sondern eine realistische Wahrnehmung der Wirklichkeit – und es fällt nicht schwer, passende Beispiele gerade für unsere Gegenwart zu nennen. Christen leben in einer Weltkirche, die eben nicht zu einer verweltlichten Kirche degenerieren darf. Sie hat vielmehr einen weltweiten Missionsauftrag in Gesellschaft und Geschichte zu erfüllen, der auf eine „ganz andere“ Welt verweist.
Gottes Wille zu tun versuchen
In seiner Freiburger Rede ging es dem Papst um die Glaubwürdigkeit einer Ortskirche, die allzu stark in weltliche Dinge verstrickt ist. Es geht um die Freiheit einer Kirche, die sich allzusehr hat einbinden lassen in politische, wirtschaftliche und kulturelle Abhängigkeiten. Wo diese dem Verkündigungsauftrag im Wege stehen, müssen sie aufgelöst werden. Das bedeutet „Entweltlichung“.
Ob dazu auch der Abschied vom deutschen Kirchensteuersystem gehört? Wer nicht zahlen will, wird exkommuniziert? Die glaubwürdige Lebensform der Kirche darf nicht von staatlichen Privilegien abhängen. Aber auch nicht vom ökonomischen Nutzenkalkül.
Vor allem kann sich eine Kirche, die den Unternehmern Moral predigt, nicht selber in eine Schmuddelecke begeben, in der sich mit Sex, Crime und Esoterik viel Geld verdienen läßt. Das Weltbild der Kirche sollte nicht mit dem gleichnamigen Verlag verwechselt werden. Entweltbildlichung ist angesagt, und zwar subito!
Man muß ja nicht gleich zur Peitsche greifen, wie Jesus bei der Tempelreinigung. Diese Welt ist nicht böse genug, daß wir ihr entfliehen und völlig entsagen könnten. Sie ist eben auch Gottes gute Schöpfung, die wir erhalten und an der wir mitwirken. Indem wir Gottes Willen zu tun versuchen.
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Prof. Dr. Wolfgang Ockenfels ist Publizist und lehrt christliche Sozialethik an der Theologischen Fakultät in Trier.
JF 52/11