Es ist noch keine zwei Wochen her, da demonstrierten die USA und Israel auf der Jahrestagung des American Israel Public Affairs Committee (Aipac), daß ihre Beziehungen unter Privilegien stehen, die andere Partner der USA nicht genießen. Für viele US-Bürger und für Entscheider in Politik und Gesellschaft hat die enge Partnerschaft mit Israel eine Qualität, die Angela Merkel als „Staatsräson“ bezeichnen würde. Doch nun haben sich klimatische Veränderungen ergeben. Ein kalter Reif hat sich auf das israelisch-amerikanische Verhältnis gelegt.
Dieses Verhältnis verändert sich, und niemand weiß, wie schwierig es sich in nächster Zukunft gestalten wird. Man spricht schon davon, die Entwicklung trüge ein Potential für das „tiefste Zerwürfnis“ seit der Gründung des jüdischen Staats vor 61 Jahren in sich. Kaum jemand wagt eine Wette darauf, ob sich Amerikas liberaler Präsident und Israels rechter Premier bei dessen Antrittsbesuch am 18. Mai näher-kommen werden. Seit Wochen schon setzen die USA Israel unter Druck.
Während Netanjahu aber die Palästinenser mit einem diffusen „wirtschaftlichen Frieden“ von ihren wahren Forderungen abzulenken versucht, will Präsident Obama Israel notfalls dazu zwingen, eine Zwei-Staaten-Lösung zu akzeptieren und den Bau illegaler Siedlungen im besetzten Westjordanland aufzugeben. „Natürlich werden wir Israel nicht unter den Bus schubsen“, soll Obamas Sicherheitsberater James Jones erklärt haben. „Aber wir werden unsere Interessen härter durchsetzen, als wir es unter Bush getan haben.“
Angedeutet hatte sich der Umschwung in Washington schon länger – auch in signifikanten Veränderungen des politischen Stils. Noch vor „Bibi“ Netanjahu ist Jordaniens König Abdallah im Weißen Haus empfangen worden – undenkbar unter George W. Bush! „Olmert konnte“, so war es dieser Tage in Israels liberaler Haaretz zu lesen, „Bush sogar mitten in einer Rede vom Podium holen, wenn er ihm etwas sagen wollte. Doch Bibi hat nicht mal die Handynummer von Obama!“
Bereits im Gespräch mit Abdallah betonte Obama, er erwarte im Nahost-Konflikt „von beiden Seiten Gesten des guten Willens“. Nach Jahrzehnten einer garantierten Vorzugsbehandlung Israels wird Washington ungeduldiger. Wer in Netanjahus Regierungsriege darauf gebaut hatte, Obama werde bei den vielen globalen Problemen keine Zeit für den Nahostkonflikt finden, sieht sich getäuscht. Obama bemüht ranghohe Politiker, um Israel neue Spielregeln zu erklären. Nachdem vor Wochen bereits Obamas Nahostgesandter George Mitchell einen langen Tag damit verbracht hatte, Israels Vertretern klarzumachen, daß die US-Regierung nicht von einer Zwei-Staaten-Lösung abrückt, nutzte nun Rahm Emanuel, Obamas Stabschef und Inhaber eines israelischen Zweitpasses, die Aipac-Tagung, um der Israel-Lobby mitzuteilen, eine Zwei-Staaten-Lösung für das historische Palästina sei die einzige Formel, die man unterstützen werde. Vor demselben Publikum präzisierte Obamas Vize Joe Biden, Israel müsse für die Zwei-Staaten-Lösung arbeiten, den Siedlungsbau aufgeben, die Außenposten der Siedler räumen und den Palästinensern Bewegungsfreiheit gewähren.
Der Druck auf Netanjahu dürfte noch weiter zunehmen. Mit leeren Formeln scheint sich Obama nicht zu begnügen. Washington will endlich Taten sehen.
Die USA wollen Netanjahu anscheinend dazu bringen, die goldene Brücke zu betreten, die sie derzeit mit Hilfe der „moderaten“ arabischen Staaten bauen. Ägypten, Jordanien, Saudi-Arabien und die Palästinensische Autonomiebehörde arbeiten den alten Saudi-Plan von 2002 um, der eine Normalisierung des Verhältnisses aller arabischen Staaten zu Israel vorsieht, jenen Friedensplan, der von der Arabischen Liga und auch von nichtarabischen muslimischen Staaten unterstützt wird. Israel müßte demnach alle nach 1967 besetzten Gebiete räumen, die arabische Seite beim Rückkehrrecht für palästinensische Flüchtlinge Zugeständnisse machen.
Gewiß, der US-Präsident hat derzeit jede Menge anderer Herausforderungen. Damit bleibt zunächst offen, wieviel Energie er aufwenden wird, um sich wirklich „aggressiv für den Frieden in Nahost“ zu engagieren. Nach Lage der Dinge müssen Obama aber wie seinen Vorgängern auch die Interessen des jüdischen Staates von Bedeutung sein. Dessen Ängste vor Irans Atommacht nimmt er ernst und teilt sie bis zu einem gewissen Grad. Anders als Netanjahu, der über den Frieden in Palästina erst dann reden will, wenn „der Fall Iran“ gelöst ist, sieht Obama sehr wohl eine Verbindung zwischen Iran und dem palästinensischen Problem. Er hat sich davon überzeugen lassen, daß er ohne effizientes Eintreten für einen Nahostfrieden die arabischen Staaten in der Iran-Frage nicht ins Boot holen und damit dem regionalen Machtanspruch Teherans auch nicht genügend entgegensetzen kann.
Bei der Dimension des Wandels, die der US-Präsident angekündigt hat, darf er niemandem erlauben, die neue Politik der Weltmacht zu düpieren. Auch wenn man nicht gleich von einem Paradigmenwechsel sprechen kann, würde – wenn das Schwänzchen Israel darauf bestehen würde, mit dem „Dackel“ USA zu wackeln – das Verhältnis der beiden Staaten weiter abkühlen. Möglich wäre dann, daß die USA sich weniger „aggressiv“ für einen Friedensprozeß einsetzten, wenn sich ihnen der Partner Israel verweigert.