Riad, Kairo, Dresden, Buchenwald und die Normandie – Stationen einer weltpolitischen Reise, wie sie unterschiedlicher kaum sein können, doch zusammengenommen gewähren sie einen ausschnittartigen Blick darauf, wie die „neue“ amerikanische Außenpolitik Barack Obamas „tickt“ und welchen Denkmustern er folgt.
Höhepunkt der Reise war seine Grundsatzrede an die muslimische Welt in Kairos altehrwürdiger Al-Azhar-Moschee (dem islamischen „Vatikan“ der sunnitischen Mehrheitsrichtung), in der er den mehr als einer Milliarde Muslimen dieser Welt den Neuanfang anbot. Die Rede war Höhepunkt einer Kampagne, die Obama bald nach Amtsantritt lanciert hatte: Erst sein Interview mit dem Sender al-Arabija, dann die Grußbotschaft zum iranischen Neujahrsfest und nun der Auftritt am Nil – diese Wortergreifungen trugen die Botschaft in sich, daß Amerika die Welt des Islam nicht (mehr) als Feind betrachten, sondern als Partner gewinnen will.
Obama konnte auch seine eigene Biographie in die Waagschale werfen, Erinnerungen an Kindheitsjahre in einem muslimischen Land und an den Vater, der muslimisch aufwuchs. Mit seinen Avancen an diese Welt, die unter George W. Bush noch das Feindbild abgab, hat Obama ein neues Buch aufgeschlagen. Er hat keines der schwierigen Themen wie Nahost-Konflikt oder Afghanistan ausgelassen. Die Ausgangslage für den Beginn einer neuen Ära ist dennoch kompliziert: US-Truppen stehen noch immer im Irak, in Afghanistan weitet sich der Krieg aus und greift längst auf Pakistan über. Der israelisch-palästinensische Konflikt ist ungelöst. Der Streit mit dem Iran über sein Atomprogramm treibt auf eine Entscheidung zu.
Obama hat sich erneut darauf festgelegt, daß neben Israel ein zweiter Staat in Palästina entstehen soll. Das wird außerordentlich schwierig sein, genauso wie die Realisierung seiner Versprechen zur Befriedung Afghanistans. Starke Kräfte der islamischen Welt – Staaten wie auch Volksbewegungen wie die Hamas – sind skeptisch und werden Obama an konkreten Taten messen. In ihren Augen spricht für den Präsidenten, daß er den Abzug aus dem Irak vorbereiten läßt, daß er einen humaneren Umgang mit muslimischen Gefangenen gelobt und im Palästina-Konflikt von der blinden Unterstützung Israels abkommen will.
Doch die Mißtrauischen werden auf Kontinuitäten zeigen: US-Raketen fallen weiterhin auf pakistanische Dörfer und löschen Großfamilien aus. Für die Palästinenser ist der Lackmustest die Frage, ob Obama es schafft, den israelischen Siedlungsbau zu stoppen und das noch übriggebliebene arabische Ostjerusalem als Teil Palästinas festzuschreiben.
Bei allem gilt es zu berücksichtigen, daß Obama nicht nur die islamische Welt im Auge haben kann, sondern auch die Machtstruktur im eigenen Land und den Willen der Wähler. Diese wünschen sich gewiß einen Präsidenten, der Spannungen mit der islamischen Welt abbaut und der auch dadurch die Wahrnehmung geostrategischer US-Interessen in der Nah-Mittel-Ost-Region leichter macht. Das bedeutet aber nicht, daß Obama großen eigenen Spielraum besitzt. Die US-Außenpolitik wird nicht von einer einzelnen Person bestimmt, sondern von strukturellen Faktoren, die selbst der Präsident nicht beeinflussen kann. Die Stationen seiner Reise stehen symbolhaft für die Chancen und Zwänge, in die sich Obama gestellt sieht: Riad stand am Anfang, weil Washington diesem Land die größte Bedeutung für die amerikanische Politik einräumt.
Ohne die aktive Unterstützung der Saudis scheint Obamas Nahostberatern Stabilität in dieser Region kaum denkbar – nicht allein, weil Riad größter Erdölexporteur ist. Lange hat Riad mit Milliardenbeträgen radikale Kräfte in der islamischen Welt unterstützt, eine Art Lösegeld, um sich inneren Frieden gegen radikale Untergrundbewegungen zu erkaufen. Seit Jahren ist man aber der Meinung, daß nicht der zionistische Staat der Feind ist. Um Stabilität in ihrer Region zu gewinnen, fordern die Saudis von Israel den Rückzug aus allen besetzten Gebieten und einen palästinensischen Staat. Im Gegenzug offerieren sie Israel Anerkennung durch alle arabischen und weitere muslimische Länder. Obama braucht diesen Stabilisierungserfolg, den er in einer amerikanisch-saudisch-israelischen Übereinkunft sieht. Sie hat nur dann eine realistische Aussicht, wenn es ihm gelingt, auch Jerusalem auf diesen Kurs zu zwingen: Zwei-Staaten-Lösung und Siedlungsstopp im besetzten Palästinensergebiet.
Buchenwald wirkt zwischen Kairo, Riad und der Normandie vielleicht unscheinbar, hat aber im Zusammenhang mit den Daumenschrauben, die Obama Israels Hardlinern anlegen muß, seine besondere Aussagekraft: Der KZ-Besuch steht für das Dogma „Treue zu Israel“ und darf wohl als Signal an jene Kräfte der mächtigen Israel-Lobby der USA verstanden werden, die ihn und seine Nahostpolitik mißtrauisch beobachten. Es ist kein Zufall, daß er mit Elie Wiesel einen Mann in seiner Begleitung hatte, der sich selbst einen „Holocaust-Priester“ nennt. Was er in Dresden wollte, ist ungewiß, die unter anderem von „seinen“ USAAF-Jungs angerichteten Zerstörungen sind längst beseitigt, alle Toten begraben. In Buchenwald ist die Geschichte hingegen wie immer lebendig: in Form einer immerwährenden, nie vergessenen Gegenwart.