Es steht schlecht um die Bildung in Deutschland. In regelmäßigen Abständen erscheinen alle möglichen Studien, die diesen Zustand belegen. Wenige Tage vor der Bundestagswahl erschien zum Beispiel die Veröffentlichung einer evangelischen Fachhochschule, die auf das Problem von dreihunderttausend Schulverweigerern in Deutschland aufmerksam macht. Fast täglich wird in den Medien von den Konsequenzen dieser zunehmenden Verwahrlosung vieler Jugendlicher berichtet.
Statt eingehender wissenschaftlicher Reflexion lösen derartige Veröffentlichungen jedoch vornehmlich ideologische Pawlow-Reflexe aus, die sich in massiven Forderungen nach mehr Geld und mehr Personal äußern, also mehr Lehrer, Erzieher, Schulpsychologen oder Sozialpädagogen. Sie dokumentieren damit das notorische Unvermögen der Ideologen, sich an den Realitäten dieser Welt zu orientieren: eine verhängnisvolle Neigung, über die sich bereits Marx und Engels in einer programmatischen Schrift „Über die Autorität“ beklagt haben. In der Bildung komme es „anstatt hochtönender Phrasen auf solide Kenntnisse an“. Zu den „soliden Kenntnissen“ zum Verständnis unserer gegenwärtigen Probleme gehört die Tatsache, daß die öffentlichen Haushalte in Deutschland – bei steigender Tendenz – mit 1,6 Billionen Euro verschuldet sind.
Aber selbst wenn sich die öffentlichen Kassen in Deutschland wie im Märchen vom Sterntaler auf wundersame Weise füllen würden, wären die anstehenden Probleme damit nicht gelöst, weil die entscheidenden Ursachen dieser Misere weithin nicht bedacht werden (dürfen). Sie liegen in den folgerichtigen Auswirkungen der 68er-Kulturrevolution. Sie zielte bekanntlich (?) nicht auf die Vermittlung von „soliden Kenntnissen“ ab, sondern auf die Entwicklung eines revolutionären Bewußtseins durch „Einübung des Ungehorsams“ gegen alle gesellschaftlichen Autoritäten. Es ist richtig, daß ein Prozeß des Umdenkens im Gange ist.
Die Einsicht wächst, daß die Wirtschaft „Maß und klare Regeln“ braucht – so eine Wahlkampfparole der SPD. Es ist aber auch richtig, daß diese Erkenntnis bislang weithin nicht vermittelt worden ist. Notwendig wäre ein unmißverständliches Zeichen der Bereitschaft zur Umkehr auf einem offenkundigen Irrweg, nicht durch die Forderung nach mehr Geld, sondern durch die öffentliche Anerkennung derjenigen Lehrer und Bildungspolitiker, die sich diesem Trend seit Jahren widersetzt haben.
Prof. Dr. Klaus Motschmann lehrte Politikwissenschaft an der Hochschule der Künste Berlin.