Wenige weinen der ausgefallenen NPD-Demonstration vom 8. Mai 2005 eine Träne nach, die nun noch einmal die Gerichte beschäftigt hat (siehe Seite 4). Geht es aber um Tränen? Der Zug in Berlin war als rechtmäßig bestätigt, dann aber von der Polizei verhindert worden: „Polizisten schützen Faschisten!“ – der überwältigenden Menge der Gegendemonstranten wollte man die Beamten nicht aussetzen; es wäre billig, diese Notentscheidung zu schelten. Die Problematik liegt tiefer – und früher: Der 8. Mai 2005 war von Politik und Medien ob der NPD-Demonstration lange vorher zum Schreckenstag aufgeblasen, seinetwegen gar Bestimmungen des Versammlungs- und Strafrechts verschärft und alle „Anständigen“ aufgerufen worden, „Zivilcourage“ zu demonstrieren und es „den Rechten“ zu zeigen – „nicht unproblematisch“, wie auch das Berliner Verwaltungsgericht anmerkt. Die Situation, aus der die Polizei dann keinen glimpflichen Ausweg mehr zu finden wußte, war also herbeigeredet, geradezu „herbeigezerrt“ worden vom Staat selbst, seinen Repräsentanten und Parlamentariern. Eine Prophetie, die sich – im übrigens höchst bescheidenen Maße! – schließlich selbst erfüllte. Daß Freiheit stets die des Andersdenkenden ist: diese Einsicht ist unserem zunehmend parteiisch agierenden Staatsapparat längst abhanden gekommen. Liberale Rechtsstaatlichkeit muß deshalb neu erkämpft werden, selbst wenn sie einmal den „Falschen“ zugute kommt. Günter Bertram war Vorsitzender Richter am Landgericht Hamburg.
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