Die „Berliner Republik“ hat ihre Spuren im Journalismus hinterlassen – und dort vielleicht tiefer als in anderen Bereichen des politischen Hauptstadtbetriebes. Korrespondenten arbeiten heute weniger als Berichterstatter und Kommentatoren im klassischen Sinne, sondern sind Bestandteil der staatlichen Unterhaltung aus Kanzler- und Presseamt. Teils sind sie Opfer der Kampagnen geschickter PR-Manager aus dem Regierungslager, teils willige Helfer beim Verbreiten geschönter Bilanzen und Nachrichten. Für journalistische Ethik ist Berlin eine Diaspora. In Bonn war nicht alles anders, aber vieles besser. Nur wenige können aber überhaupt noch vergleichen. Und damit sind wir schon beim Hauptproblem: der Personaltausch. In Bonn waren überwiegend erfahrene Korrespondenten tätig. Da konnte ein Finanzminister wie seinerzeit Theo Waigel (CSU) noch so emsig versuchen, seine desaströsen Haushaltszahlen als Konsolidierungspolitik zu verkaufen. Es wurde ihm einfach nicht geglaubt, weil erfahrene Berichterstatter längst die Tricks der Regierenden kannten. Die Journalisten pflegten sich untereinander auszutauschen. Junge Kollegen lernten von den „alten Hasen“. Natürlich kannte man auch in Bonn Probleme: Das waren jene im Laufe eines langen Korrespondentenlebens gewachsenen und stabilen Freundschaften mit Politikern, böswillig auch als „Korruption durch Nähe“ bezeichnet. Die verleitete manchen Korrespondenten dazu, Dinge nicht zu veröffentlichen. Man wollte es sich eben nicht mit den Herrschenden verderben. Am Rhein herrschte damals noch eine Art Presse-Corpsgeist. Die journalistische Welt war klar eingeteilt. Es gab die Mitglieder der Bundespressekonferenz und den Rest der Berichterstatter. Nur wer Mitglied der Bundespressekonferenz war, wurde von den Regierenden überhaupt ernstgenommen. Die Aufnahmebedingungen zu diesem Verein Bundespressekonferenz, der sich selbst verwaltet und ohne staatliche Mittel auskommt, waren streng. Die Berichterstatter mußten sich von ihren Redaktionen bestätigen lassen, daß sie vollberuflich als Korrespondenten in Bonn tätig waren. Akzeptiert wurden nur Bestätigungen von großen Zeitungsredaktionen, Rundfunk-, und Fernsehanstalten. Journalistische Kurzzeitbesucher und Angeber hatten keine Chance. Natürlich zog auch die Bundespressekonferenz mit an die Spree, wo sie heute am Schiffbauerdamm in einem repräsentativen Gebäude zu finden ist. Aber ihre Bonner Mitglieder kamen nur noch zum Teil mit. Ältere Kollegen blieben in Bonn. Wer noch ein paar Jahre bis zur Rente vor sich hatte, kam noch mit nach Berlin und ist längst wieder als Rentner in sein Eigenheim in St. Augustin bei Bonn zurückgekehrt. Anders als der Bundestag, der inzwischen seine letzten Beschäftigten nach Berlin geholt hat, erlebte die Bundespressekonferenz einen Blutaustausch. Dieser Austausch scheint dem Pressecorps nicht gut bekommen zu sein. Natürlich rückten junge Journalisten nach. Aber etwas anderes kam noch hinzu: Die Mitgliedschaft in der Bundespressekonferenz ist heute kein Qualitätskriterium mehr. Jeder kann in Berlin als Journalist tätig sein, sich in Mailing-Listen von Veranstaltern eintragen und Informationen recherchieren. Was einerseits nach dem Zerbrechen ständischer Strukturen aussieht, wirkt sich andererseits negativ auf die Qualität der Berichterstattung aus. Hinzu kommt der immer schnellere Austausch der Berichterstatter. Zwei Jahre verbringt der junge Durchschnittskorrespondent vielleicht noch in Berlin, dann geht es nach Hamburg, München oder New York. Die Unerfahrenheit hat ihre Folgen. So gilt die alte journalistische Weisheit, es gebe keine dummen Fragen, sondern nur dumme Antworten, mittlerweile nicht mehr, wie mancher Auftritt in der Bundespressekonferenz belegt. Heute gibt es sie sehr wohl, die dummen Fragen. Hinzu kommt eine andere Form der Regierungskommunikation. In Bonn standen sich Pressesprecher von Parteien und Regierenden gegenüber. Man sprach von der „anderen Seite des Schreibtisches“. Die Grenzen sind längst nicht mehr so deutlich zu erkennen. Die Regierenden beschäftigen eine Vielzahl von Kommunikations- und Medienberatern. Finanzminister Hans Eichel heuerte den besten dieser Zunft an, den ehemaligen hessischen Regierungssprecher und Vox-Chefredakteur Klaus-Peter Schmidt-Deguelle. Der PR-Berater verstand es, aus der bebrillten Büroklammer den „Sparminator“ zu machen. Aber wie das immer so ist: Selbst die besten PR-Kampagnen brechen zusammen, wenn die wahren Zahlen ans Licht kommen. Schmidt-Deguelle beriet übrigens nicht nur Eichel, sondern war gleichzeitig für die Sendung „Sabine Christiansen“ tätig. Wie gesagt, die Grenzen verschwimmen … Heute läßt man sich in Berlin gerne auf die Leimrute locken. Hauptsache, man hat eine gute Geschichte. Wahrheitsgehalt und Verantwortung für das Berichtete sind Dinge, nach denen kaum jemand noch fragt. Journalisten werden so zu Hörigen der Regierenden. Wie sich die Zeiten ändern, wird an einem Detail deutlich. In Bonn hatte man einen Presseausweis des Deutschen Bundestages. Akkreditierungen beim Bundespresseamt gab es selten. Das hat sich geändert. Der von der Regierung ausgestellte Presseausweis hat dem des Bundestages längst den Rang abgelaufen.