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Die häßlichen Deutschen

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Wer sich mit Gestapo- oder mit Stasi-Akten beschäftigt, der muß sich auf eine ernüchternde Entdeckung gefaßt machen: Das Überwachungs- und Spitzelsystem war nur deswegen so effektiv, weil viele Leute sich ihm freiwillig zur Verfügung stellten. Dieses Verhalten war vom Staat durch die Verkehrung der Moralbegriffe ausgelöst und gefördert worden. Schnüffler und Anschwärzer, die normalerweise verachtet werden, hießen nun wachsame und verantwortungsbewußte Bürger und wurden entsprechend belohnt. Diese gräßlichen und häßlichen Deutschen bildeten das offizielle Schönheitsideal. Und heute? Die freie, pluralistische, liberale Gesellschaft, versichert man uns, unterschiede sich von Diktaturen gerade darin, daß sie auf den Appell an den inneren Schweinehund verzichte. Vielmehr versuche sie, die Auswirkungen menschlicher Schwächen durch Gewaltenteilung und die Ausübung verbriefter Grundrechte einzudämmen und zu kontrollieren. Das gilt, wohlgemerkt, für freie Gesellschaften, doch trifft es deswegen auf den antifaschistisch eingefärbten Liberalismus zu, der wegen der 68er Dominanz die deutsche Gesellschaft bis heute prägt? Einiges spricht dafür, daß Historiker, wenn sie später einmal die innere Verfassung dieses Landes beurteilen werden, dazu auch auf eine Begrifflichkeit zurückkommen müssen, die von der Diktaturforschung benutzt wird. So tobt, wie der Spiegel eben in einer langen Reportage darstellt, seit drei Jahren an einem Berliner Gymnasium im bürgerlichen Bezirk Steglitz ein Vernichtungskampf gegen den Geschichtslehrer Karl-Heinz Schmick. Studienrat Schmick, 54 Jahre alt, ist ein Außenseiter, ein wirklicher Individualist. Sein Individualismus drückt sich nicht in Markenartikeln, dafür in dezidierten, eigenen Ansichten aus, die er – wie es das Grundgesetz empfiehlt – in Wort und Schrift verbreitet. Auf seinem Auto prangt kein "Atomkraft, nein danke"-, sondern ein Preußen-Aufkleber. Er hat Reemtsmas Wehrmachtsausstellung im Unterricht kritisiert und außerhalb der Schule publizistisch bekämpft. Er hat seine Schüler darauf hingewiesen, daß Stalin mehr Menschen umgebracht hat als Hitler und Pol Pot, der Schlächter des kambodschanischen Volkes, "schlimm" gewesen sei. Außerdem macht er Unterschiede zwischen "rechts" und "rechtsextrem". Das war für zwei Dutzend Eltern Anlaß genug, ihn öffentlich als Nazi anzuprangern und mit Dienstaufsichtsbeschwerden, Flugblattaktionen und Kampagnen zu malträtieren. Seit 2001 ist er vom Dienst suspendiert, ein Disziplinarverfahren läuft, die Akte umfaßt schon 2.000 Seiten. Generalstabsmäßig werden seine Publikationen durchforstet, Informationen gesammelt, Äußerungen notiert, Dossiers verfaßt. Auch die demokratische Öffentlichkeit ist hergestellt: Die Bild-Zeitung präsentierte ihn mit einem Foto, wie er an der Gartentür seines Grundstücks steht. Es sind Juristen, Architekten, Ministerialbeamte, Ärzte, also die Stützen der Gesellschaft, die sich wie eine "Sonderkommission der Polizei" gebärden. Ein bekannter Fernsehmoderator (Jauch, Günter) bildete ursprünglich das prominente Aushängeschild. Auch antifaschistische Schüler wissen – ganz ohne formelle IM-Erklärung -, was sie zu tun haben. Da juristisch nur schwer etwas gegen Karl-Heinz Schmick auszurichten ist, gehen die neuesten Bemühungen der Berliner Schulbehörde dahin, ihn qua Amtsarzt für verrückt erklären zu lassen.Einige Eltern hatten Skrupel. Sie fürchteten, die Aktion könne in Schmicks Suizid enden, in einem Mord durch Paragraphen also. Andere waren weniger empfindlich: "Wenn es denn so gekommen wäre, verdammt noch mal, dann hätte er eben hängen müssen." Der so Unmenschliches von sich gibt, Frantz, Eckart, heißt er (Vollbart, füllig, randlose Brille – so sehen sie aus, die zeitgemäßen George-Grosz-Typen), ist Arzt, Chefarzt sogar am Potsdamer Sankt-Josefs-Krankenhaus. Er nennt sich einen "verdammten Scheißliberalen". Zunächst könnte man an Diederich Heßling aus Heinrich Manns "Untertan" denken, der genauso den Gegner zu "packen" versuchte und dabei betonte, "durchaus liberal" zu sein. Doch Heßlings Bösartigkeit war gemütlich. Sie kam aus dem 19. Jahrhundert, ihr reichte die Ausschaltung der wirtschaftlichen Konkurrenten, und die huldvolle Geste des Kaisers war ihr das Höchste. Der Liberalismus à la Frantz, Eckart, ist durch die Totalitarismen des 20. Jahrhunderts inspiriert und geschärft worden. Er ist von exzeptioneller Grausamkeit und läuft auf Vernichtung (Möllemann!) hinaus. Nichtsdestotrotz fühlen Rau, Johannes, und Thierse, Wolfgang, sich hier in ihrem Element. Schriftlich dankten sie der Initiative für ihr Engagement. Auf die Idee, die Vorwürfe gegen Schmick auf ihre Stichhaltigkeit zu prüfen, kamen sie nicht. Doch gemach, wo die Spitzen des Staates dem Schweinehund Zucker geben, haben wir immer noch die freie Presse! – Haben wir? Die Zeitungen in Berlin gehören den drei Großkonzernen Springer, Gruner & Jahr und Holtzbrinck. In den vergangenen Jahren machten sie sich einträchtig zu Sprachrohren der Anschwärzer. Denn die häßlichen Deutschen sind nicht länger beflissene Untertanen. Heute herrschen sie selber.

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