Anzeige
Anzeige

JF-Interview: „Viel Zeit bleibt Deutschland nicht mehr“

JF-Interview: „Viel Zeit bleibt Deutschland nicht mehr“

JF-Interview: „Viel Zeit bleibt Deutschland nicht mehr“

Marc Jongen
Marc Jongen
Marc Jongen: „Mit dem Populismus darf man es nicht zu weit treiben“ Foto: dpa
JF-Interview
 

„Viel Zeit bleibt Deutschland nicht mehr“

Bürgerliche Reformpartei oder Rechtsaußen-Truppe? Der AfD-Bundestagskandidat Marc Jongen, der den Medien als der „Denker“ der Partei gilt, mahnt zu einem haarscharfen Kurs jenseits der Anbiederung, aber diesseits übertriebener Widerstandsrhetorik. Ein Interview von Moritz Schwarz.
Anzeige

Bürgerliche Reformpartei oder Rechtsaußen-Truppe? Der AfD-Bundestagskandidat Marc Jongen, der den Medien als der „Denker“ der Partei gilt, mahnt zu einem haarscharfen Kurs jenseits der Anbiederung, aber diesseits übertriebener Widerstandsrhetorik.

Herr Dr. Jongen, die AfD ist 2013 als bürgerlich-konservative Alternative der Mitte gestartet, heute gilt sie dagegen als populistische Rechtspartei. Ist diese Beschreibung eine Verleumdung der Medien oder trifft sie zu?

Marc Jongen: Mit der AfD hat sich politischer Widerstand gegen den Ausverkauf Deutschlands durch unsere moralisch und geistig korrupten Eliten formiert. Das war 2013 schon so „populistisch“ wie heute – dieser Begriff wurde auch schon der Lucke-AfD angeheftet, ebenso wie der Begriff „rechts“. Daß der Ausverkauf Deutschlands mehr Dimensionen hat als nur die monetäre, das war bereits bei Gründung der Partei für viele sichtbar. Insofern sind inzwischen nur Themen explizit gemacht worden, die von Anfang an im Widerstandspotential der AfD angelegt waren.

Verneinen Sie, daß die Partei sich verändert hat?

Jongen: Nein, mir ist nur die Allerweltsdiagnose „Rechtsruck“ dafür zu simpel und zu denunziatorisch. Wenn man den Mainstream-Medien und dem politischen Gegner Glauben schenkte, müßten die Funktionäre der AfD längst in SA-Uniformen durch die Straßen marschieren und „Sieg Heil!“ brüllen, so oft wurde der Partei bereits ein „weiterer Rechtsruck“ angedichtet. Das Ganze ist ein sehr durchschaubares – und sehr schmutziges – Mittel des politischen Kampfes hierzulande: Wo die Argumente des Gegners gefährlich werden, weil sie zu sehr ins Schwarze treffen, dort stellt man von Argumentieren auf Diffamieren um. Und mit nichts diffamiert es sich in Deutschland bekanntlich besser als mit der Nazi-Keule.

„Es gilt ‘rechts’ von ‘rechtsradikal’ zu befreien“

Also alles Verleumdung der Medien?

Jongen: Eine gründliche und ehrliche Analyse ergibt doch, daß der thematische Hauptschwenk, den die AfD vollzogen hat, nämlich vom Euro-Thema hin zum Migrationsthema, ganz wesentlich mit der Veränderung der politischen Großwetterlage zu tun hat. Als im Sommer 2015 die Migrationskrise dank Angela Merkels Rechtsbrüchen mit voller Wucht über uns hereinbrach, wollte auf Wahlveranstaltungen der AfD kein Mensch mehr etwas über die Finanz- und Währungskrise hören. Wenn Sie einen Rohrbruch haben, zugleich aber der Dachstuhl brennt, dann werden Sie auch alle Kräfte auf den Brand als das weitaus größere Problem konzentrieren.

Nun wird das aber als Verschiebung der AfD nach rechts wahrgenommen. Was bedeutet das für ihre strategische Positionierung auf dem Schachbrett der Politik?

Jongen: Langfristig ist der Begriff „rechts“ zu rehabilitieren und von der Gleichsetzung mit „rechtsradikal“ zu befreien, wie sie der „Kampf gegen Rechts“ perfiderweise suggeriert. Dazu muß die linke Diskurshegemonie aber erst gebrochen werden. Und im politischen Kampf bedeutet Überhastung zumeist, das Gegenteil des Beabsichtigten zu erreichen. Abgesehen davon habe ich nicht den Eindruck, daß unser Wahlprogramm besonders „rechts“ wäre. Nach den politischen Maßstäben, die bis vor wenigen Jahren noch allgemein gegolten haben, ist es viel eher als klassisch bürgerlich und grundvernünftig zu bezeichnen. Am „revolutionärsten“ ist noch unsere Forderung nach mehr Volksabstimmungen, aber auch hier dient uns die stocknüchterne bürgerliche Schweiz als Vorbild. Der Eindruck der Rechtslastigkeit entspringt einer optischen Täuschung: Wenn eine CDU-geführte Regierung Politik nach der linksradikalen Parole „No borders, no nations“ macht, dann geraten Verfassungstreue, Grenzschutz und politische Vernunft eben unter den Verdacht des „Rechtsextremen“.

„Da die Politik irrsinnig ist, müssen wir drastisch sein“

Ihren Ruf, nach rechts gewandert zu sein, verdankt die AfD allerdings kaum einer anspruchsvollen konservativen Argumentation – Stichwort: „Diskurshoheit brechen“ –, sondern politischen Provokationen. Ist das eine kluge Strategie?

Jongen: Wie gesagt hat die AfD ihre Schwerpunktsetzung und ihre Rhetorik den veränderten politischen Verhältnissen angepaßt. Da diese Verhältnisse nur noch als irrsinnig zu bezeichnen sind, müssen auch die Worte, die sie anprangern, drastische sein. Das war und ist eine politische Notwendigkeit. Ich verhehle allerdings nicht, daß ich angesichts mancher unbedachten Äußerung von Parteifreunden in letzter Zeit öfter den Kopf geschüttelt habe. Einige scheinen es für einen besonders klugen Schachzug zu halten, exakt dem Klischee zu entsprechen, das der politische Gegner auf uns projiziert. Ich bin nicht gegen gezielte Provokationen, aber diese sollten intelligent und entwaffnend sein, nicht die üblichen Beiß- und Abwehrreflexe auslösen. Damit machen wir es dem Gegner zu einfach und verspielen völlig unnötig Sympathien.

Sie sprachen ja einmal von der mangelnden „Thymosspannung“ in Deutschland, die die AfD wieder heben solle.Thymos bezeichnet bei Platon neben Logos und Eros eine der drei Motivationen des Menschen; wobei Thymos die Gemütslage ist. Allerdings ist die AfD anders als zu Beginn heute kaum mehr Ausdruck einer spontanen Unzufriedenheit – also einer Thymoshebung – in der Mitte der Gesellschaft, sondern Vertreterin der grundsätzlichen Unzufriedenheit lediglich einer konservativen oder rechten Minderheit. Spielt diese Veränderung eine Rolle?

Jongen: Man sollte politische Momentaufnahmen nicht als Endzustände fehlinterpretieren. Nach monatelangem Aufschwung geht die AfD derzeit durch eine sehr schwierige Phase. Die regierenden Altparteien und die geballte Macht der staatstragenden Medien haben sich verschworen, um uns totzutreten. Unsere Etablierung als feste politische Größe in Deutschland wollen sie mit allen Mitteln verhindern, solange sie noch eine Chance dazu sehen. Daher verbreiten sie das Narrativ, wir verträten nur ein paar Radikale und Abgehängte. Umfragen zeigen aber, daß die Mehrheit im Volk in vielen Belangen im Grunde den AfD-Positionen zuneigt. Unsere politische Aufgabe wird in nächster Zeit hauptsächlich darin bestehen, dieser noch zweifelnden, schweigenden Mehrheit klarzumachen, daß wir es sind, die in Wahrheit ihre Interessen vertreten. Wenn dieser Funke überspringt, dann können unsere Zustimmungswerte rasch wieder sehr stark ansteigen. Dann kann auch, um auf Ihre Frage nach dem Thymos zu antworten, das weit verbreitete diffuse Unbehagen im Volk in eine neue Aufbruchsstimmung umschlagen. Eine AfD als Volkspartei wird die Zuversicht vermitteln, daß ein grundsätzlicher Wandel möglich ist.

„Mit dem Populismus darf man es nicht zu weit treiben“

Apropos Volk: Anfangs wehrte sich die Partei gegen den Begriff Populismus. Heute verwendet ihn etwa Parteivize Alexander Gauland selbst, um die AfD zu beschreiben. Was bedeutet dieses Bekenntnis zum Populismus?

Jongen: Wie Sie selbst schon andeuten, kommt Populismus von „Volk“. Ebenso wie der Begriff Demokratie. In diesem Sinn ist es nicht ehrenrührig, Populist zu sein. Die sogenannten Populisten sind oft nur die besseren Demokraten, weil sie Volkes Wille noch ernst nehmen. Es ist schon ein groteskes Schauspiel, wie diejenigen, die mit Eifer an der Entmachtung des Volkes als politisches Subjekt und langfristig auch an seiner Abschaffung als ethnische Größe arbeiten, die AfD des Populismus beschuldigen. Darin verrät sich eine große Geringschätzung des Volkes, das von denselben Leuten, allesamt gute „Demokraten“, ja auch gerne als „Pack“ oder „Pöbel“ beschimpft wird. Allerdings darf man es mit dem Bekenntnis zum Populismus auch nicht zu weit treiben. Dazu behält der Begriff trotz allem zu viele negative Konnotationen. In keiner Partei in Deutschland geht es wohl weniger populistisch zu als in den Fachausschüssen der AfD. Dort wird mit viel Sachverstand und Herzblut um die richtige Position gerungen. „Und uns nennen sie Populisten …“, habe ich in solchen Fachausschuß-Sitzungen schon des öfteren gedacht.

Wenn die AfD durchaus auch ein anspruchsvoller „Debattierclub“ ist, warum verlassen dann immer mehr Bürgerliche die Partei, und warum verteidigen immer mehr bürgerliche Sympathisanten die AfD öffentlich nicht mehr?

Jongen: Ganz so stimmt das nicht. Mit Nicolaus Fest und Erika Steinbach haben sich in letzter Zeit zwei dezidiert bürgerliche und sehr angesehene Persönlichkeiten zur AfD bekannt – der eine als aktives Mitglied, die andere als Unterstützerin. Richtig ist aber, daß sich viele unserer insgeheimen Sympathisanten momentan nicht trauen, ihre Sympathien offen zu bekunden. Dazu ist das Meinungsklima zu verhetzt, die möglichen Repressalien sind zu bedrohlich. Manche mag auch das ungeschickte Auftreten einiger AfD-Funktionäre verschreckt haben, ich wage aber die These, daß dies kaum eine Rolle spielte, wenn es nicht im Hallraum der feindseligen Medien ins Zehn- und Hundertfache verstärkt würde. Warten wir bitte ab, was nach der Bundestagswahl geschieht, wenn die AfD sich als politische Größe weiter etabliert hat und etwa der De-facto-Boykott der öffentlich-rechtlichen Talkshows gegen die AfD nicht länger durchzuhalten ist. Ich prophezeie einen Dominoeffekt im bürgerlichen Lager zu unseren Gunsten.

Aber nur eine AfD, die auf die Mitte zielt – indem sie auf den konservativen Teil der Wähler dort einwirkt –, ist gefährlich. Eine Partei, die wie derzeit nur das Segment der Konservativen und Rechten binden kann, ist dagegen keine Bedrohung, weil alle anderen Parteien zusammen sie isolieren und am Rand verhungern lassen können.

Jongen: Da sehe ich schon Handlungsbedarf, aber keinen Grund zur Panik. Als einzige Oppositionspartei im Land, die wir sind, müssen wir offenkundig zwei Extreme vermeiden: Erstens uns den Altparteien zu sehr anzubiedern und damit unseren widerständigen Stachel zu verlieren. Zweitens aber auch, die Widerstandsrhetorik derart zu übertreiben, daß wir es den anderen unmöglich machen, mit uns zusammenzuarbeiten. Zwar ist mit dem aktuellen Führungspersonal in CDU und FDP, geschweige denn in der SPD, keinerlei Kooperation möglich, und die Parole „Merkel muß weg!“ gilt ohne Einschränkung. Aber wir dürfen bei aller berechtigten Polemik nicht vergessen, daß auch die CDU – gerade die CDU – wandlungsfähig ist, und sollten uns schon jetzt für den Tag rüsten, da ihre komatöse bürgerliche Seele wieder aufwacht. Inzwischen gilt es, das sogenannte Overton Window – also den Bereich des politisch Sag- und Durchsetzbaren – mit großer Beharrlichkeit in unsere Richtung zu verschieben. Das schafft man nicht mit möglichst radikalen Parolen, sondern indem man die für uns Empfänglichen einen Schritt außerhalb des Bereichs abholt, wo sie momentan noch stehen.

„Viel Zeit bleibt Deutschland nicht mehr“

Die Frage allerdings, ob die AfD mit der CDU koalieren soll oder nicht, steht doch gar nicht zur Debatte – und zwar von seiten der CDU. Dennoch ergeht sich die AfD in einem internen Streit über diese Frage. Lebt sie nicht mehr in der Realität?

Jongen: Diesen Streit zur Unzeit halte ich auch für unglücklich. Man sollte diese Fragen dann behandeln, wenn sie aktuell werden. Vielleicht hilft ein Blick über die Grenze: In Österreich ist die FPÖ trotz oder gerade wegen ihrer Isolierung durch alle anderen Parteien über die Jahre hinweg immer stärker geworden. Übrigens auch trotz aller Diffamierung als „Rechtsaußen“. Im letzten Jahr hätte sie um ein Haar den Bundespräsidenten gestellt, und heute ist sie stärkste Partei in den Umfragen. Ganz soviel Zeit bleibt uns in Deutschland wohl nicht mehr, aber die politischen Realitäten sind anzuerkennen, und diese weisen uns ohne Wenn und Aber die Oppositionsrolle zu. Umso schneller werden wir stark genug zum Regieren sein, je einiger wir sind und je weniger wir der Versuchung erliegen, die bösen Diffamierungsspiele, die unsere mächtigen Gegner mit uns spielen, parteiintern zu wiederholen.

JF 31.32/17

– – – – –

Dr. Marc Jongen ist Bundestagskanditat und mit Ralf Özkara gleichberechtigter Landesvorsitzender der AfD in Baden-Württemberg.

Marc Jongen: „Mit dem Populismus darf man es nicht zu weit treiben“ Foto: dpa
Anzeige
Anzeige

Der nächste Beitrag